Das Ende der Geduld
als ursächlich für das delinquente Verhalten der Kinder anzusehen ist, Auflagen erteilt. Es wird zudem ein eigener Beitrag seitens der Familie selbst verlangt. Dieser kann ganz schlicht darin liegen, mit der Schule der Kinder zu kooperieren. Ändert sich nichts an der Lage, kann bei „sozial unzumutbarem Verhalten" der Umzug in ein anderes Stadtviertel, das mit der Aufnahme der Familie einverstanden sein muss, verbunden mit der Anweisung, den bisherigen Bezirk nicht mehr zu betreten, durchgesetzt werden.
Dies ist auf Deutschland schwer zu übertragen, denn es hört sich nun einmal nach Zwangsumsiedlung an. Ich glaube auch nicht, dass diese Praxis in Deutschland einer obergerichtlichen Überprüfung standhielte. Diese sichert, einfach gesagt, jedem Bürger zu, dort wohnen zu können, wo es ihm eben gefällt oder seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Anders in den Niederlanden. Dort existiert ein Gesetz zu Sondermaßnahmen der Großstadtproblematik aus dem Jahre 2006, das die freie Wahl des Wohnortes für Bürger einschränkt, die über kein eigenes Einkommen verfügen. Das Prozedere ist folgendermaßen geregelt: Die jeweilige Stadtverwaltung schlägt dem Landesministerium einen Bezirk vor, für den es eine Zuzugsbeschränkung als sinnvoll erachtet, um einer Gettoisierung vorzubeugen. Das Landesministerium entscheidet. Stimmt es zu, ist ein Zuzug in den betreffenden Stadtteil ohne Wohngenehmigung nicht zulässig. Die Einschränkung der Freizügigkeit wird mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung begründet - eine aus meiner Sicht problematische Vorgehensweise. Dennoch: Die grundsätzliche Idee, der Verdichtung sozialer Brennpunkte entgegenzuwirken und im Einzelfall bei Nichteinhaltung von Auflagen dem Ignorieren vorhandener Hilfeangebote repressive Maßnahmen folgen zu lassen, ist aus meiner Sicht ebenso vernünftig wie sachlich geboten.
Als konkrete Ausgestaltung der interdisziplinären Zusammenarbeit lernen wir in einem Stadtteil die Einrichtung „TIP - Transfer Informatie Punt" kennen. Hier geht es speziell um straffällige Jugendliche. Polizei, Jugendamt, Schule, Gesundheitsbehörde und Arbeitsamt tragen ihre jeweiligen Informationen zusammen. In Besprechungen, aber auch in einer von allen Beteiligten gespeisten Datenbank werden die Tatsachen gebündelt erfasst, aufgrund deren die Behörden bereits mit einer Familie zu tun hatten. Die Datei lässt deshalb ein umfassendes Bild bezüglich der sozialen Verhältnisse zu. Eine vorhandene Kriminalitätsbelastung wird hier erfasst. Man will den Effekt des „Wir kennen euch" im Stadtteil etablieren, wie ein Beamter bei „TIP" unumwunden zugibt. In Fallrunden werden sodann die konkreten Problemlagen der delinquenten Jugendlichen analysiert: wer wo wohnt und mit wem welche Straftaten begeht, ob eine Bande aktiv ist. Die Anführer von Jugendgruppen, aus denen heraus Straftaten begangen werden, können so rasch identifiziert und isoliert werden. Auch hier reicht der Druck bis hin zum erzwungenen Umzug in einen anderen Bezirk und zum Stadtteilverbot. Verbunden wird all dies mit einer Kette von sozialen Hilfsangeboten. So erfolgt bei unzumutbaren Wohnverhältnissen für eine Familie innerhalb von 24 Stunden eine unterstützende Reaktion, wie auch das Jugendamt Familienhelfer zur Verfügung stellt.
Um schnell und effektiv auf Jugendkriminalität reagieren zu können, gibt es das Projekt „JIB - Justitie in de Buurt". Es ermöglicht dem Staatsanwalt, der im betroffenen Stadtteil ein Büro unterhält, Präsenz zu zeigen und in Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung, der Polizei, der Bewährungshilfe und den Kinderschutzorganisationen rasch zu handeln. Erfährt der Staatsanwalt von einer kleineren Straftat wie z. B. einer Sachbeschädigung in der Straßenbahn, kann er direkt von den anderen Behörden Erkundigungen einholen und individuell entscheiden, ob in diesem Fall Arbeitsstunden, eine Bewährungsfrist von maximal sechs Monaten oder die Weisung, die Straßenbahnlinie für einen festgelegten Zeitraum nicht zu benutzen, für den Täter angebracht sind. Meine Nachfrage, wie man Letzteres denn überprüfen wolle, wurde entwaffnend dahingehend beantwortet, man statte die Fahrer der Linien mit Bildern der Jugendlichen aus und die Straßenbahnführer hätten dann darauf zu achten, dass die Betroffenen eben nicht mitfahren. Das geht wiederum nur in überschaubaren Arealen und würde in Deutschland vermutlich zu einem kollektiven Aufschrei wegen der damit zu
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