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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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stattfand und nicht jetzt, und nichts schien leichter, als den ganzen Kosmos in ein einziges Gedicht zu packen.
    ***
    Nachdem ich mich abgetrocknet und Christopher gute Nacht gesagt hatte, machte ich es mir mit der Wissenschaft vom ewigen Leben auf dem Sofa gemütlich. Draußen war es dunkel und still; man hörte nichts als das Keckern der Möwen und hin und wieder das Schlagen einer Haustür weiter oben am Hang, wenn jemand aus dem Pub nach Hause kam. Manchmal ließen auch die Schiffe draußen auf dem Meer ihre Nebelhörner ertönen, doch an diesem Abend blieben sie still. Ich war müde und froh darüber, dass ich nur noch ein Kapitel und das Nachwort zu lesen hatte. Im letzten Kapitel seines Buches erörterte Kelsey Newman die Vorstellungen vom Himmel in allen großen Weltreligionen und argumentierte, dass der Omegapunkt – im Grunde ja ein Gott, der am oder zum beziehungsweise durch das Ende der Zeit erschaffen wurde – den uns bereits bekannten Göttern doch recht ähnlich sei. Mit Zitaten aus der Bibel, dem Koran, den Upanischaden, der Tora und den buddhistischen Schriften versuchte er zu belegen, dass die diversen Propheten im Lauf der Geschichte bereits über den Omegapunkt und seine Ewigkeit und Macht Bescheid wussten. War der Omegapunkt der Hindu-Gottheit, die sich in allem offenbart, nicht ganz ähnlich? Entsprach er nicht durchaus der buddhistischen Vorstellung, dass alles, was lebt, miteinander verbunden ist? Und bezog sich die Bibel nicht sogar ausdrücklich auf ihn, wenn sie von Gott als «dem Alpha und dem Omega», dem Anfang und dem Ende, sprach?
    Beim Lesen überlegte ich, ob man aus Kelsey Newmans Buch nicht einen Zeb-Ross-Roman machen könnte. Ich stellte mir eine Heldin vor, ein junges Mädchen, das die Menschheit am Ende der Zeit vor diesem künstlichen, eingeschweißten Universum rettet. Eventuell würde sie sich umbringen müssen, um zum Omegapunkt zu gelangen und ihn dann entweder zu besiegen oder aber ihn zu überreden, das Universum sausen zu lassen. Allerdings würde man so etwas in der Zeb-Ross-Lektoratssitzung mit Sicherheit ablehnen, auch wenn ich selbst mit drinsaß. Zeb Ross schrieb grundsätzlich nie über unlösbare Geheimnisse jenseits der Grenzen des Universums. Jede Handlung, so rätselhaft sie auch sein mochte, brauchte am Ende eine fein säuberliche Auflösung, und alle geheimnisvollen Aspekte mussten sich schließlich entweder durch eine populärwissenschaftliche Begründung oder den gesunden Menschenverstand erklären lassen. Wenn also beispielsweise unerklärliches Geheul von einem offensichtlich leeren Dachboden ertönt, ist der Zeb-Ross-Held verpflichtet zu beweisen, dass es kein Geist ist, sondern sich zwischen dem obersten Stockwerk und dem Dachboden ein geheimes Zimmer befindet, wo sich ein verstörter Jugendlicher versteckt hält – der sich dann möglichst noch als der lange verschollene Cousin des Helden entpuppt, von Stund an im Gästezimmer wohnen darf und dadurch auch in der Schule wieder besser mitkommt. Und außerdem durfte in einem Zeb-Ross-Roman niemals jemand Selbstmord begehen, nicht einmal, wenn man mit Hilfe einer populärwissenschaftlichen Begründung schlüssig darlegen konnte, dass das ja nicht sein Ende wäre. Neben Selbstmord standen in Zeb-Ross-Romanen auch Magersucht, Drogenmissbrauch, Wörter wie «Scheiße» und «Wichser», Kannibalismus und Selbstverstümmelung auf dem Index. Und es gab noch einige weitere Vorschriften, die alle auf dem Formblatt aufgeführt waren, das wir den neuen Ghostwritern aushändigten.
    Vielleicht konnte man die Handlung eines solchen «Ende-des-Universums»-Romans ja auch anders planen; für meine Newtopia-Reihe hätte ich Newmans Thesen in jedem Fall gut gebrauchen können, nur dass ich keine weiteren mehr davon schrieb. Fehlten sie mir etwa? Ich war mir nicht sicher. Ich tippte mir mit dem Bleistift aufs Bein, und meine Gedanken machten ebenfalls tipp, tipp, tipp , und so war ich etwas abgelenkt, als ich den ersten Satz von Newmans Nachwort las. Eigentlich hatte ich schon überlegt, es einfach nicht mehr zu lesen. Doch wie sich herausstellte, war es ausgesprochen fesselnd.
«Ihr Einverständnis vorausgesetzt», schrieb Newman, «werde ich Ihnen jetzt eine schockierende Wahrheit enthüllen. Sie sind bereits tot. Sie sind vor langer Zeit gestorben, wahrscheinlich schon vor mehreren Milliarden Jahren. Im Grunde sind Sie auch bereits unsterblich, obwohl Sie vielleicht noch ein paar weitere Leben brauchen, bis Ihnen

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