Das Ende der Geschichten (German Edition)
was machst du eigentlich so lange da drinnen?»
«Ich brauche wirklich nur noch eine Minute. Warte halt noch so lange.»
Er seufzte noch einmal. «Schon gut. Ich pinkele ins Spülbecken.»
«Von mir aus», sagte ich. «Aber es dauert nur noch eine Minute, falls du doch warten willst.»
Ich hörte, wie er etwas murmelte, das wie «Ich fass es nicht» klang, und wieder nach unten ging. Ich hätte so gern etwas zu ihm gesagt, aber mir fiel nichts ein. Mir fiel nichts ein, was ich über uns sagen sollte, über seinen Vater und Milly, über Josh und seine Episoden, über Becca und ihre Verbitterung der ganzen Welt gegenüber oder auch nur über die Tatsache, dass Christopher mit seiner Arbeit kein Geld verdiente. Konnte ich mir irgendeine einzelne Bemerkung ausdenken, die mit einem Schlag alles besser machen würde? Ein Zen-Koan von vielleicht fünfzig Wörtern konnte ein ganzes Leben verändern, einem angeblich sogar die Erleuchtung bringen. Damit kannte ich mich aus, seit das Zeb-Ross-Lektorat kürzlich einen Roman abgelehnt hatte, in dem die wenigen Überlebenden eines Flugzeugunglücks auf eine utopische Insel geraten, wo lauter weise Menschen leben, die sich ununterbrochen Zen-Geschichten erzählen. Weder die Zen-Geschichten noch der Roman selbst folgten einer erkennbaren konventionellen Erzählstruktur. In einer der Geschichten gelangt eine Frau zur Erleuchtung, als der Widerschein des Mondes aus dem Eimer mit Wasser verschwindet, den sie gerade trägt. Eine andere handelt von einer Zen-Meisterin, die ein Teehaus betreibt. Diejenigen Gäste, die bei ihr Tee trinken wollen, werden gut behandelt, wer sich aber für Zen interessiert, wird mit einem rotglühenden Schürhaken geschlagen. In dem Roman, der mir sehr gefiel, obwohl ich vorgab, ihn nicht zu mögen, bekommt jede Hauptfigur ein eigenes Koan, eine Art Zen-Rätsel, das sie lösen muss und das nach und nach ihr Leben verändert. Ihre Erleuchtung besteht letztlich nur darin, fröhlich zu sein, auch einfache Dinge mit Sorgfalt zu erledigen, nicht zu hochmütig zu werden und die Unergründlichkeit des Universums anzuerkennen. Aber wie die meisten Leute wollte Christopher sein Universum ja gar nicht unergründlich haben, weshalb ihm ein Zen-Koan vermutlich auch nicht weiterhelfen würde. Er legte allerdings großen Wert darauf, einfache Dinge mit Sorgfalt zu tun; schließlich brachte er seine Tage damit zu, Abschnitte einer Trockensteinmauer wiederaufzubauen.
Als ich ihn kennenlernte, war er kaputt. Und wunderschön. Wir gingen schon sehr bald nach meiner Trennung von Drew miteinander ins Bett. Alle Welt wollte mit mir über die Trennung reden, mir die Schuld daran geben, dass Drew im Krankenhaus war, obwohl ich dafür gar nichts konnte. Ich dagegen wollte nur mit Christopher reden; obwohl er damals nicht viel sagte, schien es doch, als hätten wir eine ganz besondere Verbindung. Beide recycelten wir alles, was sich irgendwie recyceln ließ, beide stöhnten wir darüber, dass Becca und Ant ständig überall in ihrem großen Haus das Licht brennen ließen. Christopher sagte mir, ich würde ihm gefallen, weil ich «so ein richtig altmodisches Mädel» sei, das noch mit dem Füller schrieb und Akustikgitarre spielte. An dem Tag waren wir in einer schmierigen Spelunke verabredet, wo sonst niemand hinging, und sprachen halb im Scherz darüber, aus Brighton abzuhauen und auf einem Schiff anzuheuern, von dem Christopher gehört hatte. Mit dem Flugzeug konnten wir schon allein aus ökologischen Gründen unmöglich fliehen. Danach verbrachten wir den ganzen Tag damit, uns zu betrinken. Christopher wohnte in einer Hausgemeinschaft, gleich neben dem Polizeirevier. Die Wände seines Zimmers waren magnolienfarben, und auf dem Boden lag eine Matratze, sonst nichts. Ich trug ein neues hellblaues Höschen mit weißem Spitzenrand, und er lachte darüber. «Wozu trägst du denn so was?», fragte er. Ich glaubte, das hieße, dass er mich auf der Stelle nackt sehen wollte. Also warf ich das Höschen in die Ecke, schlüpfte unter die schwere Bettdecke, legte den Joint, den er mir gerade gegeben hatte, in den Aschenbecher und wartete. In gewisser Weise wartete ich heute noch. In jener Nacht jedenfalls passierte nichts weiter, als dass sich sein langes braunes Haar neben mir auf das Kissen breitete und er mir den Arm streichelte, bis wir beide in einen bekifften Schlaf fielen. Es spielte keine große Rolle. Damals hatte ich das Gefühl, das Leben sei etwas, das in der Zukunft
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