Das Ende der Geschichten (German Edition)
eine Antwort, die ich nur an den Rand geschrieben hatte, weil ich zwar sicher war, dass sie stimmte, mir das aber nicht erklären konnte. Jetzt sah ich mir die Auflösung an und stellte fest, dass ich recht gehabt hatte. Warum, wusste ich allerdings immer noch nicht. Einmal hatten Rowan und ich das Kreuzworträtsel zusammen gelöst, an einem verregneten Montagmorgen in der Bibliothek, nachdem wir in einem riesigen, staubigen Atlas einen See in Australien und die Hauptstadt von Korsika nachgeschlagen hatten. Mir fiel wieder ein, wie seltsam dieser Vormittag geendet hatte. Wir wollten wie immer zusammen Mittag essen gehen; doch dann hatte Lise Rowan eine SMS geschickt und ihm mitgeteilt, sie habe Migräne, und er war stattdessen nach Hause gegangen. Als er seine Sachen in seinen altersschwachen Baumwollrucksack stopfte, zitterten ihm die Hände, und dann war er verschwunden, ohne sich richtig zu verabschieden. Ich nahm einen Druckbleistift von der Arbeitsfläche und setzte mich mit der Zeitung aufs Sofa. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, und Christopher hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
«Hast du was von Josh gehört? Ging es ihm noch gut nach gestern?»
Christopher verdrehte die Augen. «Was weiß ich?»
«Und was erzählt dein Vater? Geht’s Becca wieder besser?»
«Nein», antwortete Christopher. «Keine Ahnung. Ich wollte ihn nach dem Essen anrufen.»
Wir aßen vor dem Fernseher. Ich schielte immer wieder auf mein Kreuzworträtsel, und auch Christopher schaute immer wieder herüber, als wäre das Kreuzworträtsel mein Liebhaber und als hätte er sich wohl oder übel damit arrangiert, uns zusammen zu sehen. Aber die meiste Zeit konzentrierte er sich auf die Sendung über Spukhäuser, die wir schauten. Christopher wusste nur zu gut, dass ich Sendungen über Spukhäuser nicht leiden konnte. Ich aß so schnell, dass ich mich an einer Nudel verschluckte. Als ich mit dem Husten aufhörte, stellte ich meinen Teller in die Spüle und ging zur Treppe, das Kreuzworträtsel immer noch in der Hand.
«Was hast du denn jetzt vor?», fragte Christopher.
«Ich nehme ein Bad. Dann kannst du auch in Ruhe mit deinem Vater telefonieren.»
«Dazu brauche ich keine Ruhe», sagte er, aber ich ging trotzdem weiter nach oben.
«Vielleicht macht das ja meine Bronchien wieder frei», erklärte ich und hustete noch einmal.
Ich blieb eine Stunde in der Wanne liegen, obwohl Christopher das Telefon längst auf die Ladestation zurückgestellt hatte und weitersägte. Jedes Mal fand ich etwas in dem Kreuzworträtsel, das mir vorkam, als wäre es nur für mich geschrieben worden, und jedes Mal wollte ich dann Rowan davon erzählen. Heute lautete das Lösungswort: «Der Kosmos in einem Gedicht (acht Buchstaben)». Nach einiger Zeit legte ich das Kreuzworträtsel auf den feuchten Badezimmerboden, zwang mich, nicht mehr an Rowan zu denken, und fragte mich stattdessen, wie es bloß mit Christopher weitergehen sollte. Konnte ich vielleicht irgendetwas zu ihm sagen? Manchmal träumte ich heute noch von Becca, trotz der vielen Jahre, die seither vergangen waren: von ihrem lachenden, sommersprossigen Gesicht, das ganz starr wurde, als sie mich sah.
Becca war Christophers Schwester. Sie lebte mit Ant, ihrem Mann, in Brighton. Die beiden hatten gerade ihre dritte Tochter bekommen, und es hatte irgendwelche Komplikationen gegeben, sodass Becca den Laden, wo sie ihren selbstgemachten Schmuck verkaufte, vorübergehend schließen musste. Ants Bruder Drew war Schauspieler und mein Verlobter gewesen, als ich Ende der Neunziger Christopher begegnet war. Ein paar Jahre lang hingen wir alle ständig zusammen und hielten in Beccas und Ants großem Haus alberne Teegesellschaften und «Happenings» ab. Kurz nachdem mein erster Zeb-Ross-Roman erschienen war, drehte Drew seine erste große Fernsehserie, in der er den leicht vertrottelten, jungen Assistenten eines literaturbegeisterten Detektivs spielte. Zwei Jahre später gab es eine große Jahrtausendwende-Party, bei der sich alle, bis auf Christopher und mich, als Viren verkleideten. Wenig später wurde das Leben in Brighton jedoch äußerst kompliziert, weshalb ich mit Christopher nach Devon durchbrennen musste, das für ihn Heimat und für mich exotisches Gelände war, zumindest am Anfang. Becca redete kein Wort mehr mit uns, seit wir aus Brighton weggegangen waren, doch immerhin war Christopher an Weihnachten wieder einmal dort gewesen und hatte versucht, sich mit ihr zu versöhnen. Aus
Weitere Kostenlose Bücher