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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Bücher. Er las zwar täglich den Guardian von der ersten bis zur letzten Seite, aber in all die Bücher über Recycling-Techniken, Kulturerbestätten und Globalisierung, die er ständig von irgendwem bekam, schaute er kaum je hinein. Als seine Mutter starb, schrieb er gerade an seiner Abschlussarbeit in Politikwissenschaft. Dafür musste er eigentlich Bücher gelesen haben, doch ich hatte keine Ahnung, welche.
    Vor dem Gassigehen mit B. ging ich hinauf in mein Arbeitszimmer und versuchte, es so herzurichten, dass ich später dann auch richtig darin schreiben konnte. Ich stöpselte mein Notebook ein und machte die Schreibtischlampe an. Sofort war alles in schummriges Licht getaucht, auch das Poster mit dem Periodensystem der Elemente, das ich in jeder neuen Wohnung aufhängen musste. Es war mir ein Trost: Wenn das Leben wieder einmal kompliziert war, betrachtete ich das Poster und rief mir in Erinnerung, dass sich alle Materie im ganzen Universum auf diese Kästchen da herunterbrechen ließ. In meinem blauen Bücherregal stapelten sich die noch ungefressenen Fahnen meiner eigenen Bücher, die fertigen Exemplare derselben Bücher, etliche Manuskripte und die wenigen Interviews, die ich gegeben hatte und die größtenteils in kleinen Science-Fiction-Fachzeitschriften erschienen waren. Die Reporter, die ihre Interviews meist um ein Uhr morgens per E-Mail führten und, falls man sie doch einmal persönlich zu Gesicht bekam, wie bärtige, anorakbewehrte Karikaturen ihrer selbst aussahen, fragten mich beispielsweise: «Wie siehst du die Rolle der Frau in der Science-Fiction?» Oder: «Hast du Matrix gesehen?» Obendrein erzählten sie mir, dass mein Autorenfoto nicht gerade sehr vorteilhaft sei. Ich hatte noch nie gern Interviews gegeben und kam mir mit meinen sorgfältig zurechtgelegten Antworten etwa so real vor wie Zeb Ross: als würde ich mich beim Reden erst selbst erfinden. Außerdem machte ich mir – mit Ausnahme meiner eigenen Bücher, zumindest, solange ich daran schrieb – nicht viel aus Science-Fiction. Das hatte ich natürlich noch nie zugegeben; stattdessen las ich hin und wieder einen Science-Fiction-«Klassiker» zu zwei Dritteln durch, um in den Interviews auch etwas zu sagen zu haben. Den Film Matrix mochte ich natürlich und hatte auch diverse Essays darüber gelesen, unter anderem den von Baudrillard, in dem er erklärt, der Film entspreche ganz und gar nicht seinen Theorien und sei im Grunde nur eine weitere Variante von Platons Höhlengleichnis. Meine Antwort auf diese Interviewfrage nahm inzwischen fast eine halbe Stunde in Anspruch, sodass selbst noch der fanatischste Journalisten-Nerd glasige Augen bekam.
    Zeb Ross hatte bisher noch keinerlei Profil in der Öffentlichkeit, was bei Orb Books inzwischen als Missstand empfunden wurde. Er war einer der wenigen Menschen der westlichen Zivilisation, die weder eine Facebook-Seite noch ein MySpace-Konto hatten und nicht einmal eine E-Mail-Adresse besaßen. Natürlich hatte das gute Gründe, allen voran die Tatsache, dass es ihn gar nicht gab – aber das sollten unsere Leser ja nicht erfahren. Deshalb hatten wir beschlossen, jemanden zu engagieren, der ihn in den sozialen Netzwerken vertreten und an seiner statt in den pädophilenfreien Chatforen aktiv werden sollte, und ich hatte versprochen, bei der nächsten Lektoratssitzung Christophers Bruder Josh dafür vorzuschlagen.
    Oben auf dem blauen Bücherregal verstaubte mein Flaschenschiff. Ich hatte immer noch nichts deswegen unternommen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, damit ins Schifffahrtsmuseum zu gehen und es Rowan zu zeigen; das allerdings würde ich höchstwahrscheinlich doch nicht tun. Manchmal stellte ich mir nachts vor, dorthin zu gehen. Aber ich konnte Rowan ja schlecht erzählen, woher ich es hatte, und ihm auch nicht sagen, was daran so wichtig war. Außerdem endete meine Träumerei jedes Mal damit, dass wir uns erneut küssten, was ein weiterer Grund war, nicht hinzugehen. Natürlich hatte ich auch schon daran gedacht, all das, bis auf den Kuss, in meinem Roman unterzubringen. Vielleicht hatte sich das verflixte Schiff ja vor allem deshalb an Land spülen lassen, weil es in meinen Roman wollte. Aber welche Funktion sollte es da erfüllen? Ich hatte bereits diverse MacGuffins eingeführt und wieder gelöscht, darunter eine geheime Schatzkarte und eine geheimnisvolle Statue, für die ich mich sehr schämte, wenn ich jetzt daran dachte. MacGuffins waren Teil meines Lehrplans in den Workshops,

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