Das Ende der Geschichten (German Edition)
ich aber meistens bei Frank und Vi, um hinterher gemeinsam mit ihnen über Claudias neueste Pläne für Zeb Ross lachen zu können. Das letzte Mal war ich in der Vorweihnachtszeit in London gewesen. Ich hatte mich mit einer Frau namens Fred getroffen, die eine Filmproduktionsfirma namens Harlequin Entertainment leitete und in Erwägung zog, die Filmrechte an meiner Newtopia-Reihe zu kaufen und eine Fernsehserie daraus zu machen. Dieses Treffen hatte mich in Angst und Schrecken versetzt. Ob ich nicht noch Ideen für weitere Folgen hätte? Ob ich etwas dagegen hätte, wenn sie noch ein paar ganz neue Geschichten um die Figuren und den Schauplatz herumbauten? Ich fühlte mich, als würde ich mit einer solchen Unterschrift noch einen weiteren Teil meines Lebens aufgeben. Trotzdem erklärte ich anschließend dem Nachfolger meiner Agentin, ich würde das Geld natürlich nehmen, falls man es mir anbot, und meiner Mutter berichtete ich ausführlich von dem glamourösen Lokal, in das Fred mich zum Mittagessen geführt und Schwertfisch mit Velouté mit mir gegessen hatte. Natürlich hatte ich seither kein Wort mehr von Fred gehört.
«Wie läuft es denn mit dem Archiv?», fragte ich meine Mutter jetzt.
Sie hatte gerade damit angefangen, all unsere Familienfotos auf ihrem neuen Laptop zu archivieren. Manche lagen bereits digital vor, die meisten aber musste sie erst mit der Post irgendwo hinschicken, wo die Fotos digitalisiert, auf eine CD gebrannt und dann wieder zurückgeschickt wurden. Außerdem versuchte sie mit Hilfe verschiedener Volkszählungs-Websites und der Aufzeichnungen der Mormonen über ihre britischen Vorfahren einen Stammbaum zu erstellen. Toby, mein Bruder, hatte irgendwann einmal gemeint, wir seien wohl die letzte Generation unserer Familie, da keiner von uns beiden Anstalten mache, Kinder zu bekommen. Die Familie werde also aussterben. Wahrscheinlich ahnte meine Mutter das ebenfalls, und das war einer der Gründe für das Fotoarchiv und den Familienstammbaum. Wenn wir uns über ihre Nachforschungen unterhielten, fiel mir jedes Mal wieder ein, dass ich das Formular für die Volkszählung von 2001 nicht ausgefüllt hatte, sosehr mir die Behörden damals auch im Nacken saßen. Bis heute hatte ich immer noch ein schlechtes Gewissen, auch wenn mir gar nicht recht klar war, weshalb. Ich sah meine Nachkommen vor mir, wie sie verzweifelt irgendwelche zukünftigen Archive durchforsteten und die Daten einfach nicht finden konnten. Dann rief ich mir in Erinnerung, dass ich ja gar keine Nachkommen haben und sich folglich in der Zukunft kein Mensch dafür interessieren würde, was ich im Jahr 2001 getrieben hatte.
«Ich bin jetzt fast mit 1982 durch», sagte meine Mutter. «Du musst mal kommen und es dir ansehen.»
«Mach ich. Wahrscheinlich schon recht bald. Wir haben demnächst wieder Lektoratssitzung.»
«Wohnst du da nicht bei deinen Freunden, Frank und Wie-heißt-sie-noch?»
«Nein. Die sind nicht da.»
«Ach, da fällt mir ein. Hast du in letzter Zeit mal Zeitung gelesen?»
«Nein. Ich mache immer nur das Kreuzworträtsel im Observer . Wieso?»
«Am Wochenende war ein langes Interview mit Rosa drin.»
«Sag bloß», entgegnete ich. Es klang sehr viel ungerührter, als ich beabsichtigt hatte. In letzter Zeit sprach meine Mutter auffallend viel von Rosa. Wir hatten uns seit Jahren nicht mehr gesehen, doch früher in Essex hatten wir nebeneinander gewohnt und waren auch noch beste Freundinnen geblieben, als ich nach London gezogen war. Mit ungefähr achtzehn hatten wir angefangen, uns langsam voneinander zu entfernen. Ich hatte Schauspielerin werden wollen, dann aber Komparatistik studiert, und Rosa wollte ebenfalls Schauspielerin werden, war aber an der Kunstakademie gelandet. Und so wurde nichts aus unseren Plänen, zusammen an die Royal Academy of Dramatic Arts zu gehen, die Strasberg-Methode zu erlernen und berühmt zu werden. Während meines ersten Studienjahrs an der Uni in Sussex hatte Rosa mich besucht. Sie stieg bleich und völlig verpeilt aus dem Zug, in einem roten Kleid und mit langen, falschen Wimpern. Im Schlepptau hatte sie einen gammligen Typen, der ihr über den Bahnsteig nachlief und sie anflehte, ihn zu heiraten, worauf sie nur lächelnd erwiderte: «Nein, Schatz, aber ich finde es süß von dir, dass du fragst.» Dann ging sie weiter, warf aber hin und wieder einen Blick über die Schulter zurück und verlangsamte ihre Schritte, damit er sie wieder einholen konnte. Sie aß das ganze
Weitere Kostenlose Bücher