Das Ende der Geschichten (German Edition)
Woche später, am Neujahrsmorgen, erwachte ich in unserem Häuschen in Dartmouth, drückte mein Bein gegen das von Christopher und sah ihm dann nach, als er aufstand und aus dem Zimmer ging, ohne mich auch nur anzuschauen. Offenbar hatten die Weihnachtstage auch ihn aufgewühlt, er hatte mir allerdings nicht erzählt, warum. Der Tag lag vor mir wie ein gähnendes schwarzes Loch. In die Bibliothek konnte ich nicht, die hatte geschlossen. Lesen konnte ich auch nicht, weil Christopher der Ansicht war, man solle einen Tag nur dann mit Lesen verbringen, wenn man krank war oder dafür bezahlt wurde. Seit seiner Rückkehr aus Brighton hatte er kaum ein Wort gesagt, doch tags zuvor hatte er etwas davon gemurmelt, einen neuen Küchenschrank bauen zu wollen. Ich sah mich bereits Nägel halten, Seitenwände abschmirgeln und anschließend darauf warten, dass der Schrank von der Wand fiel.
Dafür konnte Christopher gar nichts: Bei uns fiel alles herunter, weil die Wände unter ihrer weißen Putzschicht nur aus Lehmflechtwerk bestanden – einer Bautechnik aus der Jungsteinzeit, die auch im neunzehnten Jahrhundert, als unser Haus errichtet wurde, noch zum Einsatz kam. In einem Dokumentarfilm auf dem History Channel hatten wir gesehen, dass dieses Flechtwerk aus schmalen Holzstückchen bestand, die mittels Lehm und Stroh zusammengehalten wurden. Es war immer das Gleiche: Wenn wieder einmal etwas von der Wand fiel, beispielsweise ein Küchenschrank, setzte Christopher sich aufs Sofa und heulte, während ich ihm einen Tee machte, ihm versicherte, dass er ganz bestimmt kein Versager war, und dann irgendeine Geschichtssendung im Fernsehen suchte, die wir uns ansehen konnten. Obwohl ich mich viel lieber mit einem Buch in die Badewanne geflüchtet hätte, schaute ich eine Dokumentation über den Cheddar-Mann oder die Königin Boudicca, über Gletscher oder Stonehenge und redete mir ein, dass es gar keine solche Zeitverschwendung war, weil ich das alles irgendwann für ein Zeb-Ross-Buch oder gar für meinen eigentlichen Roman verwenden konnte, zumindest so lange, bis ich es dann wieder löschte. Dann fing ich an zu husten, weil es im Haus so feucht war, und meine Lungen schalteten in ihren seltsamen Sicherheitsmodus, bis ich wieder nach draußen kam. Ich hatte Christopher nie direkt gesagt, dass das feuchte Haus mein Asthma verschlimmerte, weil ich der Meinung war, nur der letzte Idiot würde das nicht selbst bemerken. Natürlich war das tendenziell passiv-aggressiv, so wie die Art, wie ich mein Husten übertrieb, wenn wir Streit hatten. Manchmal holte ich Sachen aus meiner Lunge hoch, die dort schon seit Urzeiten sitzen mussten – zumindest fühlte sich das so an.
Das schwarze Loch des Neujahrstags hatte mich bereits in sich eingesogen, wie schwarze Löcher das nun mal so tun. Während Christopher sich lautstark die Zähne putzte und aufs Klo ging, nahm ich vier Tropfen von der Bachblütenmischung, die Vi mir in Schottland zusammengestellt hatte, und schaute aus dem Fenster über die Dächer hinweg. Ich stellte mir das Meer dahinter vor und die Burg. Für mich war die Burg nichts weiter als eine Postkartenansicht, und das Meer führte nirgendwo hin. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich womöglich für den Rest meines Lebens jeden Morgen aufstehen und diese Dächer betrachten, dass sich womöglich nie etwas ändern würde. Aber wenn sich nichts änderte, konnte ich doch genauso gut tot sein. Es mochte Leute geben, die jeden Tag mit solchen Gedanken begannen, aber für mich war er neu. Dabei hatte ich geglaubt, sämtliche deprimierenden Gedanken, die es gab, schon gehabt zu haben. Dann fühlte ich mich undankbar, auch wenn ich nicht recht wusste, wem oder was gegenüber. Ich konnte ja nicht einmal hier am Fenster stehen und mich nach etwas sehnen, außer vielleicht nach mehr Geld. Die Sehnsucht nach Rowan hatte ich eh schon längst aufgegeben. Natürlich wollte ich mich bei Vi entschuldigen, wusste aber nicht, wie. Im März würde sie nach Dartmouth kommen, um das Labyrinth zu eröffnen. Ich hatte sie dafür vorgeschlagen, als ich hörte, worum es dabei genau ging und dass noch jemand Prominentes für die Eröffnung gesucht wurde. Vi war ein paar Mal im Fernsehen aufgetreten und hatte einen Bestseller geschrieben; zudem war ich mir sicher, dass ihr das Labyrinth gefallen würde. Bis dahin musste ich eine Möglichkeit gefunden haben, mich zu entschuldigen, so viel stand fest.
Schließlich fuhr ich mit B. nach Slapton Sands, stand
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