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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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und dadurch auch mit allen anderen teilen, warum sollte man dann nicht hin und wieder wissen können, was jemand anders denkt? Mit Energeia kann man zaubern. Warum auch nicht? In diesem System zu zaubern ist doch nichts anderes, als wenn man sich am Rechner einen Shortcut auf den Desktop legt.»
    Josh war ständig auf der Suche nach Beweisen für die Existenz von Magie und Telepathie. Er hatte eine Schwäche für B., und als wir noch alle zusammen in der Wohnung seines Vaters wohnten, hatte er angefangen, sich dafür zu interessieren, warum sie offensichtlich immer schon im Voraus wusste, wann jemand nach Hause kam. Das war ansteckend: Peter und ich – und eine Zeit lang sogar Christopher – waren bald genauso fasziniert davon. Anfangs spekulierten wir, ob B. vielleicht die Autos hörte, und vermuteten, dass ihr Gehör außergewöhnlich fein war, vor allem, da wir alle in einer knapp hundert Meter entfernten Seitenstraße parken mussten. Doch sie merkte auch, wenn jemand zu Fuß nach Hause kam. Einmal kam Peter mit dem Zug aus London zurück, und obwohl wir eigentlich verabredet hatten, dass er vom Bahnhof anrufen sollte, damit ihn jemand von uns abholen konnte, hatte er spontan beschlossen, zu Fuß zu gehen. Drei Minuten vor seiner Ankunft rannte B. ganz aufgeregt durch die Wohnung, schaute aus allen Fenstern und wedelte wild mit dem Schwanz; und schließlich saß sie genau in dem Moment mit ihrem Lieblingsball im Maul vor der Wohnungstür, als Peter den Schlüssel ins Schloss steckte. Wann immer etwas Ähnliches passierte, versuchten diejenigen, die in der Wohnung gewesen waren, die Ankömmlinge davon zu überzeugen, B. habe ganz genau gewusst, dass sie im Anmarsch seien. War man der Ankömmling, konnte man das immer nur schwer glauben. Doch genauso schwer war es, es nicht zu glauben, wenn man sie dabei beobachtete, wie sie schon Minuten, bevor man tatsächlich Schritte oder ein Räuspern hören oder den Ankommenden riechen konnte, ganz bewusst ihre Begrüßungsvorbereitungen traf. Josh wusste alles über die Experimente, mit denen Rupert Sheldrake herausfinden wollte, ob Hunde tatsächlich spüren, wann ihre Menschen nach Hause kommen. Sheldrake zufolge existieren im Universum morphische Felder und morphische Resonanzen, die unter anderem dadurch zustande kommen, dass Erinnerungen nicht im Inneren eines Individuums gespeichert werden, sondern außerhalb, zusammen mit denen aller anderen Individuen. Falls es denn so war, müsste das unter anderem auch Telepathie ermöglichen, denn wenn man seine Gedanken nicht im eigenen Kopf, sondern in einer Art gemeinsamem Außenraum aufbewahrte, hatte ja im Grunde jeder Zugang dazu. Ich erzählte niemandem davon – und war im Übrigen überzeugt, dass es noch eine etwas konventionellere wissenschaftliche Erklärung dafür geben musste –, doch B.s Telepathie, oder was immer es sonst war, ging so weit, dass sie auf unseren Spaziergängen oft bereits losschoss, wenn ich das Wort «Eichhörnchen» nur dachte. Und wenn ich mir überlegte, dass wir später noch bei der Tierhandlung vorbeischauen und ein paar Kauknochen kaufen könnten, schien B. sich sofort darauf zu freuen und zog mich in die entsprechende Richtung. Josh zufolge erklärten Sheldrakes Thesen auch, weshalb ich mein Kreuzworträtsel donnerstags leichter gelöst bekam als an dem Sonntag, an dem es in der Zeitung erschien. Am Donnerstag, meinte er, hätten bereits so viele Leute die Lösung gefunden, dass sie eine morphische Resonanz von der Stärke eines Neonschilds erzeugten, das aus einer benachbarten Dimension herüberstrahlte. Ich brauchte die Lösungen also quasi nur noch aus der Atmosphäre zu pflücken. Es endete damit, dass Josh über B.s telepathische Anwandlungen detailliert Buch führte und den Bericht an Sheldrake schickte; ich habe allerdings nie erfahren, was der dazu gesagt oder ob er überhaupt darauf reagiert hat.
    «Aber warum praktiziert dann nicht jeder Zauberei oder sagt die Zukunft voraus, wenn das doch eigentlich möglich ist?», fragte ich.
    «Ich glaube, wir sollen glauben, es wäre nicht möglich. Vielleicht hält der Omegapunkt auch einfach die meisten Leute davon ab. Da bin ich mir noch nicht ganz sicher.»
    «Und wieso gibt es dann so viele Scharlatane, die so tun, als könnten sie Löffel verbiegen? Warum ist es so offensichtlich, dass jeder Zauberkünstler, den man auf der Bühne sieht, gar nicht richtig zaubert? Wenn das alles so einfach zugänglich wäre, würden viele Leute es

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