Das Ende der Geschichten (German Edition)
Josh.
«Und das kannst du nicht drinnen tun? Na, egal. Los, kommt. Wir müssen rein.»
Beim Aufstehen war mir das Kleingeld wieder eingefallen, das Peter mir mitgegeben hatte.
«Das soll ich euch von eurem Vater geben», sagte ich und drückte es Christopher in die Hand. «Für den Getränkeautomaten.»
«Das nützt jetzt auch nicht mehr viel.»
***
Eine lange rote Linie auf dem Boden führte uns zum Wartezimmer der Abteilung für Radiologie, wo wir Platz nahmen. Dort warteten nur drei weitere Leute: ein verschrumpelter Mann im Rollstuhl, der bereits halbtot wirkte, und eine Mutter mit ihrem etwa elfjährigen Sohn. Mutter und Sohn wurden praktisch sofort hereingerufen, und wir blieben mit dem verschrumpelten Mann zurück.
Christopher hielt seine Unterlagen in der unverletzten Hand. Sie zitterte.
«Wie fühlst du dich?», fragte Josh. Seine Stimme hallte durch den großen, leeren Raum. Alles war in verschiedenen Blautönen gehalten, und eine der Deckenlampen flackerte.
«Beschissen», antwortete Christopher.
Josh zuckte die Achseln und beugte sich vor, um nach einer Zeitschrift zu greifen, die merkwürdig schräg auf dem Holzfurniertisch lag.
«Verdammt nochmal!», rief Christopher laut und ließ seine Unterlagen fallen. Der verschrumpelte Mann im Rollstuhl schreckte hoch.
«Was denn?», fragte Josh.
«Meine Hand! Mann! Pass doch auf!»
Ich bückte mich und hob die Unterlagen auf, die Christopher fallen gelassen hatte.
«Wir sollten vielleicht versuchen, etwas leiser zu sein», sagte ich.
Josh stand auf und ging mit der Zeitschrift ans andere Ende des Zimmers, wo ein unordentlicher Stapel Zeitschriften auf einem identischen Holztisch lag. Er legte die mitgenommene Zeitschrift auf den Stapel, zählte dann die übrigen und rückte sie zurecht. Dann betrachtete er das Ganze noch einmal und machte zwei Stapel daraus. Ich merkte, wie konzentriert er dabei war: Er achtete gar nicht darauf, dass Christopher stöhnte und die Augen verdrehte. Als die Zeitschriften alle ordentlich und symmetrisch dalagen, kam Josh zu uns zurück, und wir warteten schweigend, bis Christopher zum Röntgen gerufen wurde.
Als er fort war, fragte ich Josh: «Alles klar mit dir?»
«Ja, ja», antwortete er. «Ich habe versucht, mich an irgendwelche Krankenhauswitze zu erinnern, um die Stimmung aufzulockern. Aber mir ist nur einer eingefallen, den mir meine Therapeutin mal erzählt hat, und der ist ziemlich makaber. Den wollte ich Christopher lieber nicht erzählen. Allerdings …»
«Immer raus damit», ermunterte ich ihn.
«Na gut. Mary und John sind beide Patienten in einer psychiatrischen Klinik. Eines Tages spazieren sie am Schwimmbecken entlang, und John, der nicht schwimmen kann, springt in den tiefen Teil des Beckens, um sich zu ertränken. Mary springt hinterher und zieht ihn heraus. Der Arzt beobachtet sie dabei und beschließt, dass sie entlassen werden kann, weil ihre Heldentat zeigt, dass sie psychisch stabil sein muss. Er ruft sie zu sich ins Büro und sagt zu ihr: ‹Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute Nachricht ist, dass wir Sie entlassen werden. Sie haben einem Mann das Leben gerettet und sind ganz offensichtlich in der Lage, wieder ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Aber leider gibt es auch eine sehr schlechte Nachricht. John, der Mann, den Sie gerettet haben, hat sich kurz nach dem Zwischenfall im Schwimmbecken erhängt. Er ist tot. Es tut mir schrecklich leid.› – ‹Ach›, erwidert Mary. ‹Der hat sich doch nicht erhängt. Ich wollte ihn nur zum Trocknen aufhängen.› Siehst du? Ich hab dir ja gesagt, er ist makaber.»
Als ich wieder mit Lachen aufhören konnte, fragte ich: «Warum hat deine Therapeutin dir den denn erzählt?»
«Sie erzählt mir ständig Witze und Geschichten», sagte Josh. «Und dann soll ich darüber nachdenken.»
«Und was hast du aus dieser Geschichte gelernt?»
«Vor allem, dass man die eigenen Handlungen immer auf verschiedene Weise sehen kann.»
«Und auch die Handlungen anderer, scheint mir.»
«Stimmt. Also, wie fandest du nun die ganzen Berechnungen in dem Buch von Kelsey Newman? Mich hat das ziemlich beeindruckt. Das Buch von Frank Tipler habe ich mir auch schon geholt. Da steht alles drin. Also, die wissenschaftlichen Grundlagen, meine ich. Ich finde das ziemlich überzeugend, auch wenn es in Tiplers Buch so eine irritierende Beschreibung gibt, wie die Menschen das Weltall kolonisieren müssen, damit der Omegapunkt
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