Das Ende der Geschichten (German Edition)
gäbe und man auf einem fliegenden Teppich mit dem einzig wahren Seelenverwandten durch die Ewigkeit fliegen und Abenteuer erleben könnte – wen würde das denn noch interessieren? Wer würde sich überhaupt noch die Mühe machen, irgendwas zu tun? Wenn es keine Substanz mehr gibt, was hat dann überhaupt noch Substanz? Ohne Materie wird alles immateriell, wenn du verstehst, was ich meine. Das Leben lässt sich nur über den Tod definieren, denn lebendige Wesen sind diejenigen, die sterben werden, aber noch nicht tot sind.»
Während ich redete, sah ich Dartmouth vor meinem geistigen Auge: dieselbe vorweihnachtliche Winterszenerie, als ich mein erstes Knäuel Wolle gekauft hatte. Ich sah die Menschen vor mir, wie sie durch die Dunkelheit in Geschäfte eilten, um dort Dinge zu kaufen, die ihnen halfen, die Dunkelheit wegzuzaubern. Und wie damals erkannte ich, dass all diese Menschen kaum mehr waren als schlechte Kopien von Zeitschriftenbildern, dass sie altern, verfallen und sterben würden – ganz ohne Grund –, so wie alles, was sie jemals kaufen konnten. Kurz darauf kam mir die Idee zu einer Art Science-Fiction-Geschichte über eine Gesellschaft, deren Mitglieder dazu verdammt sind, alles für aufregender zu halten, als es eigentlich ist. Wenn sich zwei dieser Menschen beispielsweise in der Disco küssen, sind sie überzeugt, die perfekte Liebesbeziehung begonnen zu haben. Im Alltag handeln sie mit Waren, von denen sie glauben, dass sie von allerhöchster Qualität seien. Und um an diese Waren zu kommen, die sie für Liebestränke, Schönheitssalben, Erfolgselixiere oder auch Traumschlösser zum Selberbauen halten, lügen, stehlen und morden sie. Doch in Wahrheit verkaufen alle nur leere Pappkartons, die sich in ihren Häusern stapeln, bis es zu viele werden und sie einige davon entsorgen müssen.
Josh legte den Kopf schief. «Wie meinst du das? Wozu würde man denn sterben wollen, wenn es eine Alternative gäbe?»
«Das weiß ich auch nicht. Aber es muss doch noch mehr im Leben geben, als am Ende in einer Höhle gegen ein Monster zu kämpfen, nur um anschließend zurückzukehren und alles auf leicht abgewandelte Weise noch einmal zu machen.»
Der verschrumpelte Mann im Rollstuhl keuchte plötzlich auf und warf den Kopf in den Nacken, als würde er sterben: ein Tod, live und in Farbe, falls man das so sagen konnte, und nicht einfach nur ein Produkt meiner Phantasie oder eine theoretische Diskussion. Ich sprang auf und machte einen Schritt auf ihn zu, doch dann wusste ich nicht, was ich weiter unternehmen sollte. Sein Kopf schien in einer seltsamen Haltung erstarrt, der Mund stand offen. Ich sah zu Josh hinüber, aber er hatte sich weggedreht. Auf Zehenspitzen näherte ich mich dem Mann. Als ich fast bei ihm war, sank ihm der Kopf wieder auf die Brust, und er vollendete den angefangenen Schnarcher. Ich setzte mich wieder hin, und Josh kicherte.
«Unglaublich», sagte er. «Ich dachte, er wäre tot.»
«Ich auch. Großer Gott!»
«Das war mit Abstand das beste Schnarchen, das ich je gehört habe.»
«Du solltest Christopher mal hören.»
«Habe ich», erwiderte Josh. «Bei diesen grässlichen Zelturlauben, als wir noch Kinder waren. Ich bin überzeugt, die haben eine ganze Menge zu meinen psychischen Problemen beigetragen.» Er gähnte. «Jedenfalls glaube ich, du liegst völlig falsch, und ich bin sicher, Newman wird all diese Probleme in seinem neuen Buch aufklären.»
«Keineswegs. Ich habe es gelesen. Das ist einfach nur noch mehr Gewäsch über das Leben als große narrative Queste. Hauptsächlich geht es darum, dass man heldenhaft sein und nicht einfach nur herumsitzen und Pizza mampfen soll. Kannst du dich noch an das ganze erzähltheoretische Zeug über bewundernswerte Protagonisten und Figurenentwicklung erinnern, über das ich in meinem Workshop spreche? Sein Buch macht auch nichts anderes, nur eben am Ende der Zeit.»
«Wie, du hast es gelesen? Es erscheint doch erst in einem Monat.»
«Ich habe ein unkorrigiertes Vorabexemplar erhalten», sagte ich. «Von der Zeitung. Wenn du willst, kann ich es dir leihen.»
Josh strahlte. «Danke. Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf dieses Buch. Und ich wette, es steht viel mehr drin, als du behauptest.» Er schaute zu der Tür, durch die Christopher verschwunden war, dann sah er mich wieder an. «Kommst du trotzdem mit, auch wenn du offensichtlich einige Vorbehalte hast?»
«Zu Kelsey Newman, meinst du?»
«Ja. Das wird sicher total spannend.
Weitere Kostenlose Bücher