Das Ende der Geschichten (German Edition)

überhaupt etwas ausrichten kann. Auf den Seiten fünfundsiebzig und sechsundsiebzig spricht er von Retortenbabys, die in anderen Galaxien aus einer künstlichen Gebärmutter entstehen und von Roboterammen großgezogen werden. Bei so was muss doch zwangsläufig eine Welt voll verhaltensgestörter Psychos rauskommen. Wobei, falls er recht hat, haben wir die ja schon. Und natürlich verwalten die dann alles.»
    Ich musste lächeln. Josh wusste immer ganz genau, auf welcher Seite etwas stand. Ich hatte einiges über sein Verhältnis zu Zahlen erfahren, als ich ihn vor einigen Jahren, kurz vor unserem kleinen Flirt, einmal in einen Zeb-Ross-Workshop eingeschmuggelt hatte, um ihm die Teilnahmegebühr zu ersparen. Damals beschäftigten wir uns immer einen Nachmittag lang mit der Mathematik des Erzählens, befassten uns zunächst mit Einheiten, dann mit Paarfunktionen, dem häufigen Auftreten der Zahl 3 in Märchen und Mythen, Jungs Quaternitätstheorie und so weiter. Josh besaß ein geradezu enzyklopädisches Wissen über das Vorkommen jeglicher Zahl in jedem beliebigen Buch und hatte entsprechend viel zur Diskussion beigetragen – unter anderem eine atemberaubende Auflistung von Dreierkombinationen, die mit den drei kleinen Schweinchen begann und, nach mindestens fünfzig weiteren Beispielen, mit den drei Weisen aus dem Morgenland endete. Auch über die Bedeutung der 3 im Tarot hatte er referiert: die 3 der Stäbe, der Kelche, der Schwerter und der Münzen. Erst sehr viel später wurde mir klar, dass er sein Wissen über die 3 als Verzögerungstaktik eingesetzt hatte, um unsere Diskussion nicht bis zur 6 gelangen zu lassen.
    Nach dem 11. September hatte Uri Geller die These aufgestellt, dass der Anschlag auf kosmischer Ebene mit der Zahl 11 in Verbindung stehen müsse, unter anderem, weil die Twin Towers einer «11» glichen, New York den Vereinigten Staaten als 11. Staat beigetreten war und sich 92 Passagiere beim Flug Nummer 11 an Bord befunden hatten – und die Quersumme von 92 ergab 11. Er stellte sogar eine Liste einflussreicher Persönlichkeiten auf die entsprechende Unterseite seiner Website, deren Namen aus elf Buchstaben bestanden, darunter Tutanchamun, Harry Potter, Nostradamus und Josef Stalin. Josh verfasste daraufhin einen langen Blogeintrag darüber, dass man solchen Unsinn mit jeder beliebigen Zahl anstellen könne, so wie sich auch mit jedem beliebigen Text so ziemlich alles vorhersagen oder bestätigen lasse, wenn man nur das Prinzip des Bibelcodes auf ihn anwandte. Wenn er wollte, konnte Josh ein ausgesprochener Skeptiker sein, was es umso erstaunlicher erscheinen ließ, dass er an Außerirdische und Seeungeheuer glaubte.
    «Und was hältst du von Newmans Theorien?», fragte ich ihn jetzt.
    «Abgesehen von den Roboter-Kindermädchen finde ich das alles richtig spannend. Es klingt sehr plausibel. Und irgendwie ist es auch tröstlich.»
    «Wegen deiner Mutter?»
    «Ja, klar, aber auch, weil es doch heißt, dass ich eigentlich gar nicht so verrückt bin, wie ich dachte. Viele der Dinge, an die ich immer schon geglaubt habe, sind in Newmans System durchaus denkbar oder sogar wahrscheinlich und mit allen physikalischen Gesetzen vereinbar. Außerdem beweist er damit, dass das Universum tatsächlich geplant worden ist – und zwar von Menschen. Ist das nicht obercool?»
    Ich reagierte mit einem halben Achselzucken. Vor Newman hatte Josh mit dem Astronomen Fred Hoyle geglaubt, dass die menschliche DNS sich nicht durch Evolution entwickelt habe, sondern im All entstanden sei.
    «Der Omegapunkt erklärt absolut alles», fuhr Josh fort. «Sämtliche angeblich vernunftwidrigen Dinge, die mir je begegnet sind: Gespenster, Telepathie, Magie, Astrologie, Reinkarnation, Tarot, morphische Resonanz – das ist in Newmans Universum alles rational erklärbar. Wenn wir schon längst über das Ende der Zeit hinaus sind und in dieser Zweitwelt in einem niemals endenden Jenseits leben, macht das plötzlich alles total Sinn. Ist doch klar, dass man hin und wieder Geister und Monster sieht, wenn der Omegapunkt jedes denkbare Szenario im Kopf hat. Und es heißt auch, dass dieses Universum, das aus Energeia besteht und nicht aus Materie, zu sehr viel mehr fähig ist, als wir bisher geglaubt haben. Wenn die Zukunft schon da ist oder sich zumindest berechnen lässt, ist es doch sonnenklar, dass man sie voraussagen kann. Und wenn wir unser Bewusstsein alle im selben System haben und es mit dem Bewusstsein des Omegapunkts