Das Ende der Liebe
Partner, Erfolge, Produkte).
[60] Die endlose Suche kann wiederum übergehen in das absolute Verlangen, wenn eine einzelne Möglichkeit – vorübergehend – die Unendlichkeit der Möglichkeiten symbolisiert, zum Unendlichkeitsfetisch wird. Sobald das Symbol erlischt, der Fetisch zerfällt, bleibt ein gewöhnliches absolutes Verlangen übrig, das wiederum übergeht in die Blockade.
Früher galt als gelungenes Leben, wenn die Menschen sich in die Ordnung der Dinge gefügt hatten: wenn sie sich den Überlegenen untergeordnet, den Unterlegenen übergeordnet hatten, wenn sie einen Gatten und Kinder hatten, wenn sie ihre Beziehungen zu Gleichen pflegten. Der Mensch hatte ein gelungenes Leben, der sich zu Anderen ins – richtige – Verhältnis gesetzt hatte. Das gelungene Leben war ein relationales, relatives, begrenztes.
Heute gilt als gelungenes Leben, wenn der Mensch intensiv lebt, das Leben genießt, sich verwirklicht . Intensität, Genuss und Selbstverwirklichung aber sind Unendlichkeiten. Sie haben keine natürliche oder gesellschaftliche Grenze. Alles könnte intensiver sein, jeder Genuss könnte größer sein, jede Selbstverwirklichung bleibt steigerbar, ja, sie muss gesteigert werden, um Selbstverwirklichung zu bleiben. Man kann seinen Platz in einer Ordnung einnehmen, nicht aber im Genuss, im Erfolg, in der Intensität. Das Selbst bleibt immer ein Ziel.
Die Menschen sagen: »Ich müsste mehr lesen. Ich müsste mehr Klavier üben. Ich müsste mehr Sport machen.« Es gibt keinen Punkt, an dem es genug wäre. Dadurch entsteht ein neues Unbehagen. Die Menschen sind zwangsläufig unzufrieden, weil sie sich nicht mehr ins Verhältnis zu Anderen setzen, sondern sich dem Unendlichen öffnen sollen. Sie sollen Erfahrungen machen . Sie sollen sich entwickeln. Sie sollen möglichst viel fühlen. Nicht erst der Konflikt zwischen [61] Genuss und moralischem Gebot – wo noch vorhanden – erzeugt Unglück, sondern bereits der Genuss selbst, der unbegrenzt ist und darum in seiner Verwirklichung immer als begrenzt und ungenügend erfahren werden muss.
Die Anderen, zu denen die Menschen sich früher ins Verhältnis setzten, seien es Götter oder andere Menschen, verschwinden im Übrigen nicht. Sie werden vielmehr selbst zu Objekten unendlichen Genusses, unendlicher Selbstverwirklichung.
Es geht nicht mehr darum, sich Gott zu unterwerfen, sondern Gott möglichst intensiv zu erleben, Gott zu genießen – und ihn hinter sich zu lassen, wenn er kein Genuss mehr ist.
Es geht nicht mehr darum, sich an einen Partner zu binden, mit ihm zusammen sich in die Ordnung des Lebens zu fügen, sondern darum, den Partner möglichst intensiv zu erleben, sich in ihm selbst zu verwirklichen – und über ihn hinaus.
Kinder, Freunde, Chefs und Subalterne – sie bilden keine Ordnung mehr, sondern werden Objekte der Unendlichkeit. Der Andere muss entweder gefördert oder überwunden werden.
An die Stelle von Treue tritt Entwicklung. Jede Ordnung, in die der Mensch sich fügt, ist vorübergehend, Objekt von Entwicklung und Überwindung, in Richtung auf größeren Genuss, noch mehr Selbst.
Wer zu Notwendigkeiten im Verhältnis steht, kann ein gelungenes Leben führen. Wer dagegen zu Möglichkeiten im Verhältnis steht, bleibt unerfüllt. Möglichkeiten müssen das Gegebene definitionsgemäß überschreiten. Sie sind stets das, was die Menschen noch nicht sind, nicht haben. Sie sind Unendlichkeit.
[62] Es werden also nicht nur die Anderen, die möglichen Partner, zu absoluten und unendlichen Möglichkeiten, sondern auch das Verhältnis, das die Menschen zu jedem Einzelnen von ihnen einnehmen, wird zu einem Verhältnis mit dem Absoluten, mit dem Unendlichen. Gerade die einstige feste Bindung zwischen den Menschen wird zu etwas Flüssigem und Unbegrenztem. Die freien Menschen können nur hoffen, eine Zeitlang in dieselbe Richtung zu treiben.
Gibt es denn überhaupt keine Psychologie derer, die nicht mehr lieben können?
Doch, es gibt sie. Es mag den Verlust geben, die Verletzungen und Neurosen, aus denen sich ewige Sehnsucht speist. Sie mögen Anstoß gewesen, stete Verstärker sein.
Doch die Freiheit der Menschen wird selbst zur Ursache, wie die Droge selbst zur Ursache der Sucht wird, sobald sie genommen ist. Was auch der Anstoß war, eine Verletzung, Langeweile, Gelegenheit – der Weg mündet in den kausalen Zirkel der Sucht, den Teufelskreis der Selbstbegründung. Die Freiheit schafft sich ihre eigenen Zwänge.
Es geht also nicht
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