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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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Jede Möglichkeit hat eine eigene Anziehungskraft. Sie ist Verlockung, Versuchung. Wenn der Mensch sie sieht, reift sie unter seinen Augen schon zur Notwendigkeit. Sie ist in der Fantasie schon Wirklichkeit, nur in der Wirklichkeit noch nicht.
    In einem Zwangssystem, unter einer diktatorischen Herrschaft, existieren keine Möglichkeiten. Vielmehr: ihre Anziehungskraft wird aufgehoben durch die zurückhaltende Kraft der Zwänge. Die Gesellschaft ist wie Beton um die Menschen. Die Zwänge halten die Menschen von jeder Möglichkeit zurück: von der Möglichkeit, eine Regierung zu wählen, sich selbst zu verändern, mit einem verheirateten Mann, einer verheirateten Frau zu schlafen. Die Menschen können nur gegen den Widerstand größter Angst der Anziehung einer Möglichkeit folgen, der Angst vor Ausschluss aus der Gesellschaft, Folter, Tod. Möglichkeiten zu verwirklichen, bedeutet: Kriminalität oder Revolution. So hoch ist die Schwelle.
    In einer demokratischen, doch noch traditionsbewussten Gesellschaft beginnen die Möglichkeiten langsam, ihre Anziehungskraft zu entfalten. Die Gesellschaft ist jetzt wie Schlamm um die Menschen. Die Menschen können sich frei bewegen, doch immer noch gegen einen Widerstand, den Widerstand der Regeln und Gewohnheiten. Die Menschen befinden sich im ständigen Zwiespalt: Möglichkeiten ziehen sie an, Regeln und Gewohnheiten halten sie zurück. Die Menschen unterdrücken ihre Gelüste oder sie geben ihnen zögernd nach, mit Schuldgefühlen. Sie leben zwischen Entsagung und Sünde.
    Unter den Bedingungen einer absoluten Freiheit schließlich ist die Gesellschaft wie Luft. Die Gesellschaft setzt der Bewegung der Menschen keinen Widerstand mehr entgegen. Die Anziehungskraft der Möglichkeiten ist absolut. Alle Zurückhaltung durch Zwänge, Regeln und Gewohnheiten ist aufgehoben. Die Menschen sind nicht mehr hin- und hergerissen, [56] sondern nur noch hingerissen. Jetzt werden die Möglichkeiten selbst zur Gewohnheit, zur Regel sowie – in der unwiderstehlichen Versuchung und Sucht – zum Zwang.
    Die Erfolgsmöglichkeit wird zur unwiderstehlichen Erfolgsversuchung, zu Gewohnheit und Regel, Sucht und Zwang. Die Sexmöglichkeit wird zum Sexzwang. Aus der Partnersuche wird eine Partnersuchsucht. An die Stelle absoluter Herrschaft treten jetzt die absoluten, durch nichts mehr beschränkten Möglichkeiten als Zwänge.
    Es war einmal ein Mensch, der tat etwas Ungeheueres. Die Anderen, die es mitangesehen hatten, wussten, dass es ihm eine ungeheuere Befriedigung bereitet hatte. Trotzdem fragten sie nach den tieferen Ursachen seiner Handlung. Sie dachten, der Mensch müsse andere Gründe gehabt haben als seine Befriedigung (auch wenn diese ungeheuer gewesen war). Sie fragten nach einer Bedeutung, einem Sinn. Sie sagten: »Was hat ihn bloß dazu bewegt, das Ungeheuere zu tun?«
    Dabei war die Antwort einfach: Es hatte den Menschen bloß nichts davon zurückgehalten. Kein Zwang, keine Regel, die er mit anderen teilte, keine Gewohnheit oder Tradition. Eines Tages war er auf die ungeheuere Möglichkeit gestoßen, sie war technisch und ökonomisch möglich gewesen, und da war nichts, was ihrer Anziehung entgegengestanden hätte. Also hatte er sie Wirklichkeit werden lassen.
    Die Antwort auf die Frage, warum der Mensch das Ungeheuere getan habe, lag also in der Befriedigung und vor allem in der Gegenfrage: »Warum nicht?«
    So ist es mit vielen Ungeheuerlichkeiten, denen der Gewalt, des Ruhms, der Liebe oder Nichtliebe. Die Menschen werden Beute ihrer unbegrenzten Möglichkeiten. Die Momente ihrer ungeheueren Aktivität sind in Wahrheit Momente einer ungeheueren [57] Passivität. Die Menschen sind frei Fallende – sie sausen durch die Luft, der schweren Masse einer Möglichkeit entgegen.
    Der Terrorist fällt auf seine unbegrenzten Terrormöglichkeiten zu, der Erfolgreiche auf die unbegrenzten Erfolgsmöglichkeiten, der Nichtstuende auf die unbegrenzten Möglichkeiten, nichts zu tun, der endlos Partnersuchende auf die absoluten und unendlichen Partnermöglichkeiten.
    Vielmehr: Einer Möglichkeit kann doch etwas entgegen stehen, es kann ein Gegenwicht geben, das sie aufzuheben in der Lage ist. Es ist: eine andere Möglichkeit . Nicht mehr Zwänge, Regeln und Gewohnheiten halten die Menschen von ihren Möglichkeiten zurück, sondern andere Möglichkeiten. Die Menschen sind nicht mehr hin- und hergerissen zwischen Bestehendem und Möglichem, sondern zwischen Möglichkeit und Möglichkeit.
    Die

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