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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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und konnte nicht über seine Gefühle sprechen. Er hat mich in meiner Entwicklung gehemmt.«
    [79] Ein Mann, dreiundzwanzig, der sich nach sechs Monaten trennt, sagt: »Ich bin enttäuscht. Mir hat die Zärtlichkeit gefehlt. Sie ist nicht auf meine Bedürfnisse eingegangen und konnte nicht über ihre Gefühle sprechen. Sie hat mich in meiner Entwicklung gehemmt.«
    Eine Frau, neununddreißig, die eine Frau, mit der sie geschlafen hat, nicht wiedersehen will, sagt: »Das war nichts. Sie hätte mich in meiner Entwicklung gehemmt. Mir hätte die Zärtlichkeit gefehlt. Sie ist nicht auf meine Bedürfnisse eingegangen und konnte nicht über ihre Gefühle sprechen.«
    Was sich verändert hat, sind nicht die Trennungsgründe. Die freien Menschen haben die gleichen Gründe, sie haben sie nur nach kürzerer Zeit . Sie trennen sich, noch bevor sie lieben können. Es geht um eine Beschleunigung der Enttäuschung.
    Die Menschen trennen sich nicht mehr nach einer Beziehung, sondern vor einer Beziehung. Die Trennung hat sich vom Ende an den Anfang der Liebe verlagert, vor den Anfang.
    Die freien Menschen verlassen nicht, weil sie begonnen haben zu hassen. Sie verlassen, weil sie unzufrieden sind. Sie sagen: »Es gibt andere, mit denen ginge es mir besser. Da bin ich sicher.«
    Die Menschen sagen: »Ich will mehr Zärtlichkeit. Ich will weniger Stress.«
    Sie wissen, dass sie im Recht sind. Sie haben nicht viele überzogene Ansprüche, sondern viele legitime. Sie halten sich für bescheiden.
    Sie sagen: »Es ist ja wohl nicht zuviel verlangt, dass mein Partner einigermaßen gut aussieht, klug ist, Humor hat und nicht total neurotisch ist, dass er sein Leben auf die Reihe kriegt und für mich da ist, wenn ich ihn brauche, dass er mich nicht ständig stresst und in der Lage ist, zu reden, und dass der Sex etwas ist, das Spaß macht und nicht total verkrampft ist und …«
    [80] Die Menschen wissen, dass nichts, was sie wollen, unmöglich ist. Dagegen wissen sie nicht, ob sie den Anderen noch lieben. Vielleicht. Irgendwie. Aber darum geht es nicht. Sie sind unzufrieden. Darum geht es.
    Die freien Menschen denken, dass es möglich sei, einen zu finden, den man eine Schönheit nennen würde; den man besonders erotisch nennen würde; dass es möglich sei, einen zu finden, der besonders kreativ ist und klug; der Freunde hat, die kreativ sind und klug; der eine Tür sei zu der Welt, in der die Menschen leben wollen; dass es möglich sei, einen zu finden, der eine reife Persönlichkeit ist; der eine schöne Wohnung hat, einen guten Musik- und Filmgeschmack; der ehrgeizig ist und fürsorglich, der Kinder liebt; der zu ihnen passt. Sie denken, dass das alles zu finden, alles in einem zu finden, möglich sei; es nicht zu finden, persönliches Versagen.
    Die Menschen haben tatsächlich einmal einen Partner gehabt, der eine Schönheit war. Auch einmal einen, der besonders klug war. Einmal einen, der über seine Gefühle sprach. Einmal einen, der eine Tür war zu einer neuen Welt. Einmal einen, der ihnen ähnlich war. Sie haben mit Menschen geschlafen, die besonders erotisch waren. Es ist kein Wunder, dass sie Optimisten sind und Nostalgiker; dass sie Suchende sind und bleiben. Sie kennen ihre Möglichkeiten.
    Im Kopf der Menschen sind die Möglichkeiten verwachsen zu einer Hydra mit zahllosen Häuptern. Einem ersehnten Vielwesen. Der Gesuchte ist nicht ein Mann, eine Frau. Es sind unzählige Männer, unzählige Frauen – in einer Person. Alle vergangenen Partner und alle möglichen künftigen sind verwachsen zu der Hydra. Die Hydra hat alle Haarfarben, alle Eigenschaften. Sie ist die Unendlichkeit, die Göttin, die die Menschen anbeten, ihre eigentliche große Liebe. Mit der Hydra leben die freien Menschen im Bund der Ehe.
    [81] Vorübergehend mögen sie einen Anderen für die Hydra halten. Doch schnell klärt ihr Irrtum sich auf. Wenn sie sich auf einen einlassen, wissen die Menschen nicht, »was sie fühlen«. Sie wissen nur, »dass etwas fehlt«. Es ist nicht das, was sie sich »erhofft haben«. Es ist nicht, »wie es früher gewesen ist«.
    Liebe wird gesuchte Liebe. Die freien Menschen haben sich Vorstellungen gemacht von dem, den sie suchen. Sie haben darüber nachgedacht. Sie wissen genau, was sie suchen. Sie sind Menschenkenner, wie andere Kenner von Weinen oder Filmen sind. Sie können vieles unterscheiden. Sie haben einen feinen Geschmack. Sie haben ihn mehr und mehr verfeinert.
    Sie erinnern sich, was sie in der Vergangenheit geliebt

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