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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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versuchen, ihr Herz zu öffnen. Aber sie wissen nicht, wie man das macht: ein Herz öffnen . Sie wissen schon, dass ihr gegenwärtiger Partner besser ist als der frühere. Aber sie empfinden es nicht. Die Verstorbenen lassen ihnen keine Ruhe. Jeder Tod, jedes Ende, jeder Abschied war selbst verschuldet. Die freien Menschen waren nicht für den Plural geschaffen. Darum sind sie jetzt zum Plural verdammt.
    Die freien Menschen fragen sich, ob sie nicht mit einem von denen, denen sie begegnet sind, hätten glücklich werden können. Ob sie nicht mit einem von ihnen hätten zufrieden sein müssen. Ob sie nicht einen, den sie liebten, hätten begehren, nicht einen, den sie begehrten, hätten lieben können. Die freien Menschen fragen sich, ob das, was sie getan, [74] ob die Entscheidungen, die sie getroffen haben, nicht falsch gewesen sind.
    Die freien Menschen haben keine Vergangenheit. Alles ist ihnen gegenwärtig. Jeder Mensch, den sie einmal geliebt haben, jeder, den sie einmal »versucht haben zu lieben«, bleibt eine Möglichkeit. Die Hoffnung der freien Menschen ist so groß, dass sie auch der Vergangenheit gilt, auch aus ihr eine Möglichkeit macht.
    Die freien Menschen machen die Vergangenheit zur Gegenwart und Zukunft. Sie treffen die, die sie »nicht lieben konnten«, wieder, um zu prüfen, ob sie sie nicht doch noch lieben können. Auch jene, die ihrerseits die freien Menschen »nicht lieben konnten«, treffen die freien Menschen wieder, um zu prüfen, ob sie von ihnen nicht doch geliebt werden können.
    Die freien Menschen sagen nicht: »Ich habe X einfach nicht geliebt«, sondern: »Warum habe ich so empfunden und nicht anders? Ich habe vielleicht einen Fehler gemacht, eine einmalige Chance verpasst.«
    Die freien Menschen fühlen sich verantwortlich für ihre Gefühle. Sie wollen sie ändern, als seien sie Handlungen. Sie wollen ihr Herz öffnen. Doch das können sie nicht. Indem sie ihre Gefühle zu Handlungen, die Vergangenheit zur Gegenwart machen, bleiben alle Möglichkeiten möglich. Jede Möglichkeit bleibt ein Vergleich. Die Reue der freien Menschen ist grenzenlos.
    Die freien Menschen kennen und fürchten ihre Reue. Sie nehmen sie vorweg. Sie sagen: »Ich werde mich für diesen Menschen nicht entscheiden. Das würde ich in Zukunft wahrscheinlich bereuen.«
    Wenn die freien Menschen mit einem zusammen sind, denken sie, es sei Zufall, dass es eben dieser sei. Der Andere habe [75] wohl sie gewählt, sie aber nicht den Anderen. Warum ausgerechnet er?
    Die Menschen wissen es nicht. Sie sind so vielen Menschen begegnet, sie begegnen ständig neuen. Es hätte genauso ein anderer sein können, mit dem sie das Leben verbringen.
    Die Menschen denken, die Tatsache, dass sie mit diesem Einen, diesem Zufallsmenschen zusammen sind, verdanke sich ausschließlich ihrer Schwäche. In einem zufälligen Moment ihrer furchtbaren Schwäche sei der Andere zur Stelle gewesen (an einer zufälligen Stelle). »So kamen wir zusammen.«
    Die Menschen laufen durch die Straßen, sehen die Menge der Menschen und denken: »Was für ein Zufall! Was für ein furchtbarer Zufall!«
    Sie nehmen einen aus der Menge in den Blick und denken: Der könnte es sein. Plötzlich sind sie sich sicher. Dann geht der Angeblickte vorüber, verschwindet in der Menge, auf Nimmerwiedersehen.
    Die Menschen wollen den Anderen, den sie lieben wollen, in einem Moment der Stärke wählen. Die Liebe soll eine bewusste, souveräne Wahl sein. Doch jeder Moment, in dem sie einen Anderen wählen, stellt sich im Nachhinein als Moment der Schwäche heraus: der Angst, der Einsamkeit, der Krise, der Verlorenheit. Die Wahl in einem Moment der Schwäche ist aber keine Wahl, sondern ein, wie man sagt, Greifen nach dem Strohhalm , sie ist nichts als ein Zufall.
    Schicksal? Lächerlich. Woran sollte das zu erkennen sein? Wie im Märchen an der Schönheit? Die Menschen haben Schönere gesehen. Am Verständnis? Viele haben sie verstanden. Am Sex? Die Menschen haben besseren Sex gehabt. An der Verwandtschaft der Seelen? Ist das nicht nur die Nähe der Neurosen?
    [76] Die Menschen sagen: »Vor dem Schicksal soll man sich hüten, dem Ineinandergreifen der Seelen, dem Retten und Gerettetwerden.«
    Zufall ist gesünder. Aber Liebe ist das nicht.
    Und als sie dem Schönsten begegneten, sagten die freien Menschen: »Es ist keine Liebe, es ist nur die Schönheit.« Und als sie dem Verständnisvollsten begegneten, sagten sie: »Es ist keine Liebe, es ist nur das Verständnis.« Und

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