Das Ende der Liebe
als sie geliebt wurden wie noch nie, sagten sie: »Es ist seine , ihre Liebe.« Und als sie den besten Sex hatten: »Es ist nur der Sex.« Und als sie ihr Ebenbild trafen: »Es sind nur die Ähnlichkeiten; dass alles so gut passt.«
Die freien Menschen sagen: »Ich habe den Richtigen bisher bloß übersehen. Als ich ihn traf, habe ich ihn nicht erkannt, war ich nicht bereit. Wenn ich ihn treffen werde, dann will ich frei für ihn sein.«
Sie versuchen, dem Zufall zu entkommen. Sie trennen sich von ihrem Zufallsmenschen. Sie gehen wieder auf die Suche.
Die freien Menschen wissen zu viel. Dafür brauchen sie nicht einmal Bücher. Das Wissen liegt in der Luft, es fliegt den Menschen zu.
Sie sagen: »Das ist keine Liebe. Das ist eine Projektion, eine Kompensation. Eine Verdrängung und Idealisierung. Das ist Hollywood. Pornografie. Nur ein Klischee, nur eine Kopie.« Die freien Menschen sind gegen sich selbst. Sie sagen: »Ich fühle nicht, was ich fühlen sollte.« Und: »Ich fühle, was ich nicht fühlen sollte.« Sie zerbrechen in zwei Hälften. Sie sind Patient und Therapeut in einer Person. Doch sie können sich nicht helfen. Sie sagen: »Ich als Liebender wäre narzisstisch.« Oder: »Ich als Liebender wäre vom Anderen abhängig.« Sie sind auch gegen die Anderen. Sie machen aus schönen Seelen [77] problematische Psychen. Sie sagen: »Der Andere ist neurotisch. Er ist unlogisch, unreif, schwach, kalt.«
Früher sagten die Liebenden: »Ich kann nicht anders, es ist ein Wahnsinn, eine Krankheit.« Die freien Menschen sagen: »Das bin nicht ich, das will ich nicht – es ist ein Wahnsinn, eine Krankheit.« Die freien Menschen halten die Liebe für eine Krankheit und die Nichtliebe ebenso. Sie halten sich, egal was sie tun, für krank.
Die Menschen, die sich selbst und den Anderen in der Liebe für krank halten, halten die Liebe für eine Krankheit, die zwei Kranke verbindet.
»Ich bin krank. Du bist krank.«
»Unsere Verbindung ist krank.«
Einst sagten die Liebenden: »Du bist unendlich. Ich sehe immer neue Seiten an dir.« Die freien Menschen sagen: »Ich kenne dich in- und auswendig. Ich habe dich verstanden. Ich kenne deine Mechanismen, deine Dynamik.« Selbst noch die Unverständlichkeit ist den Menschen verständlich. Sie sagen: »Ich habe verstanden, dass du unverständlich bist. Unlogisch.«
Sie sagen: »Du kannst über deine Grenzen nicht hinaus. Du entwickelst dich nicht.«
Sie sagen: »Aber ich entwickle mich.«
Die freien Menschen stehen vor einem Rätsel. Sie denken über ihre Nichtliebe nach, immer wieder. Sie fragen sich nach den Gründen.
Sie schämen sich für ihre Nichtliebe. Sie wollen lieben. Wenn sie sich vor jemandem ekeln, ekeln sie sich vor sich selbst. Nicht zu lieben erscheint ihnen als ein Verbrechen.
Solange sie mit einem zusammen sind, ist ihre Suche nach einem Besseren eine heimliche, verheimlichte Suche. Die Hoffnung auf einen Besseren ist ängstigende Hoffnung; die [78] Angst, zu betrügen, zu verlassen, die Beziehung aufgeben zu müssen, die Familie zu zerstören. Hoffnung ist schuldige Hoffnung.
Die Nichtliebe ist nicht nur die Abwesenheit von Liebe, das Verschwinden von Liebe. Sie ist eine Leidenschaft wie die Liebe selbst.
Die Liebe erscheint früh und ist vollkommen im Moment ihres Erscheinens. Je unfertiger die Menschen sind, umso größer die Liebe. Die Nichtliebe dagegen wächst mit den Menschen, mit ihren Möglichkeiten. Sie kennt Ziele und Ideale. Sie ist ein Wahnsinn, eine Krankheit. Die Nichtliebe ist Liebe. Liebe zu einem A nderen . Sie ist Liebe zu einem, der immer abwesend ist, der sich auf vielen Gebieten auszeichnet, der die Menschen mit den Kräften der Leidenschaft, den Genüssen des Lebens, mit allen Mysterien vertraut machen würde.
Sobald die freien Menschen mit einem zusammen sind, entwickeln sie ein Enttäuschungsthema. Sie kennen die Verhaltensenttäuschung, die Schönheitsenttäuschung, die Sexualitäts- und Erotikenttäuschung, die Intellektualitätsenttäuschung, die Verständnisenttäuschung, die Interessenenttäuschung, die Wohnungsenttäuschung, die Wohnortsenttäuschung, die Freundeskreisenttäuschung; und so weiter. Sobald das Enttäuschungsthema feststeht, konzentrieren die Menschen sich auf dieses Thema. Sie sammeln Belege.
Eine Frau, fünfunddreißig, die sich nach fünfzehn Jahren Ehe getrennt hat, sagt: »Jetzt sehe ich endlich klar. Mir hat von Anfang an die Zärtlichkeit gefehlt. Er ist nicht auf meine Bedürfnisse eingegangen
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