Das Ende der Liebe
Fragebögen, das maschinelle Erheben von Lieblingsfarbe und Raumtemperatur, dient der Schicksalssimulation . Die nicht [219] abschließbare Partnersuche soll beendet werden durch einen deus ex machina , die Schicksalsgöttin aus der Matchingmaschine.
Die Menschen ersetzen also Vorherbestimmung durch Übereinstimmung, Fügung durch Matching. Das Glück, den Einzigen gefunden zu haben, wird ersetzt durch die Zufriedenheit, einen Übereinstimmenden gefunden zu haben. An die Stelle des Geliebten soll der Gleiche treten.
So sehr die Menschen sich nach einem sehnen, der zu ihnen passt – zugleich empfinden sie jeden Passenden jedoch als Zeichen ihrer Schwäche . Sie meinen, dasselbe zu tun wie Kinder, die die Nähe fremder Menschen meiden, nie rausgehen, sondern immer drinnen bleiben, im Haus, bei den Eltern. Die Menschen sagen: »Ich suche den Verwandten, das Zuhause, nie den Anderen, Fremden. Ich bin ein Mensch, der immer fremdelt. Alle Menschen, die zu mir passen, passen vor allem zu meiner Angst vor dem Anderen, Fremden.«
Entweder leben die Menschen also mit einem, der zu ihnen passt, also ein Zeichen ihrer Schwäche ist . Oder sie leben mit einem, der ein Zeichen ihrer Stärke ist, also vollkommen unpassend ist.
Die Menschen suchen mit ihren Stärken, finden aber mit ihren Schwächen.
Die Menschen, die es nicht schaffen, einen zu finden, der ihnen vollkommen gleicht, schämen sich. Sie denken, dass sie, wenn sie wirklich jene wären, für die sie sich halten, auch einen Gleichen finden würden. Sie sagen: »Ich bin noch nicht genug ich selbst, um einen Gleichen zu finden. Ich habe es nicht geschafft, meine Vorstellung von mir ausreichend zu realisieren, sonst wären Menschen, die dieser Vorstellung entsprechen, an mir interessiert. Sonst wäre ich vorgestoßen [220] in die gesellschaftlichen Bereiche, wo diese Menschen sind. Offensichtlich bin ich es aber nicht. Ich bin nicht gut genug in meiner Arbeit, um andere, die in dieser Arbeit gut sind, zu interessieren. Ich bin nicht leidenschaftlich genug, um andere zu interessieren, die meine Leidenschaften haben. Ich bin nicht genug ich selbst, um die zu interessieren, die sind wie ich selbst, vielmehr: die noch mehr ich sind als ich selbst. Meine Vorstellung von mir ist eine Wahnvorstellung, sonst fände ich einen, der mir entspricht.«
Tatsächlich also suchen die Menschen, wenn sie einen Gleichen suchen, einen, der anders ist als sie. Sie suchen einen, der ihren Ideen von sich selbst gleicht, nicht allein der Wirklichkeit. Sie suchen einen, der hat, was sie nicht haben; der ist, was sie noch nicht sind. Der Mensch, der ihnen gleicht, soll ihr Gegensatz sein. Er soll aktiv sein, wo sie passiv sind, Erfolg haben, wo sie noch scheitern. Er soll sein, was sie noch werden wollen, schon leben, wo sie leben wollen. Der Gesuchte ist die Verkörperung ihres Lebensziels.
Die freien Menschen entwickeln Fantasien von sich selbst, die unendlich entfernt sind von der Wirklichkeit. Ihre Erwartung hat sich vollständig von ihrer Erfahrung gelöst. Im Vertrauen auf die Macht von Bildung, Karriere, Therapie (»Werde ein Künstler! Erhöhe dein Selbstwertgefühl! Lerne, dein Leben zu planen!«), im Vertrauen auf die unendliche Freiheit ihres Selbstentwerfens, entwickeln sie eine Selbsterwartung, die alle Selbsterfahrung – von Unfähigkeit, Kraftlosigkeit, Müdigkeit – hinter sich lässt und überschreitet.
Wenn sie also von ihren Interessen und Wünschen sprechen, handelt es sich nicht bloß um ein »Interesse für Musik« oder den »Wunsch nach einem eigenen Haus«. Tatsächlich stehen Interessen und Wünsche weniger für die Eigenschaften der freien Menschen, als für das Gegenteil dessen, was sie [221] sind. Sie haben das Interesse und den Wunsch, andere zu werden. Ihre Interessen zielen auf Selbstüberschreitung.
In Wahrheit also können die Menschen einen, der ihnen nur gleicht, gar nicht lieben. Sie können lediglich, wie Hans und Klara, feststellen, dass die Matching-Punkte ein Spiegelbild gleicher Interessen, Einstellungen und Wünsche sind. Sie können eine Übereinstimmung feststellen, nicht Liebe empfinden. Es fehlt das Andere, Unendliche, auf das hin sie sich überschreiten wollen.
Die Hoffnung auf Selbstüberschreitung mit Hilfe des Anderen war die wichtigste Bedingung romantischer Liebe. Diese Hoffnung ist es, die den Unterschied machte zwischen der älteren, bürgerlichen Liebe und der neueren, romantischen. Der bürgerlich Liebende wollte mit dem Geliebten
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