Das Ende der Liebe
sagen: »In meinem Leben stimmt nichts überein mit meinem wahren Ich. Aber ich werde ein Du finden, das ihm entspricht.«
In Wirklichkeit jedoch sind die Menschen von jedem Partner in einem fort enttäuscht, weil er ihnen nicht gleicht – nicht in dem Maße, in dem ein Partner aus einer Unendlichkeit möglicher Partner ihnen gleichen könnte, also: vollkommen . Die permanente Enttäuschung der Menschen ist, neben der sexuellen Enttäuschung, vor allem die Gleichheitsenttäuschung. Die Folge ist ein permanentes Fremdheitsgefühl. Die Hydra der Liebe ist nicht nur eine Versammlung aller sexueller Typen, sondern auch eine Versammlung aller Typen von Gleichheit, ein Wesen, das alle Leidenschaften der Suchenden teilt (die öffentlichen und die unterdrückten), das alle Interessen der Suchenden teilt, alle Gefühle, das die gleiche Lebenseinstellung hat und den gleichen Tag- und Nachtrhythmus, die gleiche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
[212] In der alten Welt lebten die Menschen in ihrer Heimat (in der Enge), umschlossen von Gleichem, und brachen auf in die Fremde (die Weite). Sie ersehnten das Fremde. In der unendlichen Welt leben die Menschen bereits in der Fremde, umschlossen von Fremdem, und brechen auf, um eine Heimat zu finden – das Eigene, Gleiche. Sie rufen: »Endlich etwas Gleiches!«
Die Menschen empfinden sich in Bezug auf alles, was sie umgibt, als anders. Sie spüren überall den Unterschied. Selbst das, was sie selbst gewählt haben, erscheint ihnen als unpassend. Sie suchen nicht mehr die Ferne, sondern das Nahe, nicht mehr Abenteuer, sondern Spiegelung. Die Entdeckung, die sie zu machen gedenken wie einst Christopher Columbus, zu deren Zweck sie die Welt durchkämmen (das heißt, an sich vorüberziehen lassen), für die sie endlos zu suchen bereit sind (also endlos zu sitzen und zu warten), diese Entdeckung hört in jedem Fall auf die zwei Silben: wie ich.
Selbst wenn die Menschen aufbrechen in andere Städte, ferne Länder, so nur, um dort endlich das Gleiche zu finden. Sie wollen nicht mehr eintauchen, wie man sagt, in eine andere Kultur, sondern glauben höchstens, dass sie in der anderen Kultur eher ihren Gleichen finden als Zuhause, in der Fremde.
Die freien Menschen brauchen diesen Anderen, der ihnen gleicht, weil nur dieser es ihnen möglich macht, sich in einem Spiegel zu erblicken. Denn in der verflüssigten, immerzu als fremd empfundenen Welt bestätigt den Menschen nichts anderes mehr, wer sie sind, als der Andere, der ihnen gleicht. Ihre Welt haben sie allein im Kopf . Wenn da kein Anderer ist, der ihnen gleicht und sie spiegelt, scheint alles, was sie ihr Eigen nennen, ein Spleen und Wahn zu sein. Sie können »Ich« nur sagen, wenn einer sagt »Ich auch«.
[213] Wo keine Welt mehr ist (als eine, die sich im Fluss immerzu selbst aufhebt, die ein Fluss ist ), da kommt Welt zustande nur als Spiegelung im Paar der Gleichen. Als permanentes »Ich … Ich auch«. Die freien Menschen, die mit einem leben müssen, der anders ist als sie, fühlen sich einsamer als allein, denn der Fremdheit ihrer Welt ist nun eine weitere Fremde hinzugefügt. Die Menschen sagen: »Ich bin Jahre und Jahrzehnte in der Fremde gewesen, zu Hause nur in meinem Kopf. Ich weigere mich, eine weitere Fremde auf mich zu nehmen, auch noch ins Exil dieses Du zu gehen. Ich werde weiter suchen.«
Doch die Menschen finden keinen Anderen, der ihnen selbst so sehr gleicht, dass er ein Spiegel sein kann. Die Anderen sind entweder ein durchsichtiges Glas, Fenster in eine fremde, seltsame Landschaft – oder ein Zerrspiegel, der die Menschen auf das Furchtbarste gestaucht zeigt, gewellt oder in die Länge gezogen, fadendünn. Die Menschen sagen: »Wenn ich meinen Partner anschaue, dann weiß ich nicht mehr, wer ich bin. Ich kann nicht derjenige sein, der ich denke, dass ich bin, und zugleich der Partner dieses Menschen.«
Die Menschen machen auch die Partnerschaft selbst zu einem Ort, der sich auflöst in Bewegung. Auch die Partnerschaft verwandelt sich von einem Ort in einen Kanal. Die freien Menschen schaffen in der Partnerschaft keine gemeinsame Welt. Sie bewahren ihre eigene, getrennte Existenz. Sie stauen das Leben nicht, sondern lassen es im Fluss. Selbst wenn sie gemeinsame Räume haben, gemeinsamen Besitz, gemeinsame Kinder, leben sie permanent hin auf ihre Trennungsmöglichkeit . Sie wissen, dass sie die Schleuse jederzeit öffnen, das Gemeinsame auseinander fließen lassen können. Die Ruhe des Wassers ist die
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