Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
ihm aber auch eine Identitätskrise, wie sie in vielen Berufen auftrat: »Roboter können Tabletten genauer und kostengünstiger als der Mensch abzählen, Techniker können Medikamente in Apotheken oder in riesigen automatisierten Fabriken zusammenstellen. Man kann ohne ein Universitätsstudium Medikamente verkaufen und an der Kasse arbeiten«, schrieb der bekannte Pharmazeut und Autor Albert Wertheimer.
»Doch schon in naher Zukunft wird Bedarf nach Personen bestehen, die das Gesundheitssystem als Ganzes verstehen, die als Gesundheitserzieher, Torwächter, Ansprechpartner, Problemlöser und Koordinator fungieren können … Der Apotheker der Zukunft wird dem Patienten das bieten, was immer mehr verschwindet, wird ihn an die Hand nehmen und leiten … Er wird jemand sein, der mit Anreizen arbeiten kann, der das Health-Belief-Modell versteht und eine mitfühlende, fürsorgliche Professionalität an den Tag legt.«
»Problemlöser«, »Koordinator«, »an die Hand nehmen«, »mitfühlende, fürsorgliche Professionalität«. Diese neue Definition zeigte deutlich, dass der Beruf weiblicher werden musste, wenn es ihn weiterhin geben sollte. Man sprach nun von der »Sozialpharmazie« oder »klinischen Pharmazie«. An den amerikanischen Universitäten wurde Pharmazie nicht mehr als vierjähriges Bachelor-Studium angeboten, sondern als Diplomstudiengang mit dem Titel »Pharm D« nach einem sechsjährigen Studium. Frauen stellten bald die Mehrheit der Pharmaziestudenten, die ihren Abschluss machten, und ihre Zahl ist seitdem weiter gestiegen.
Das Umdenken in der Pharmazie entsprach den neuen Werten in der Wirtschaft. In jüngster Zeit haben Wirtschaftswissenschaftler die sogenannten Soft Skills oder sozialen Kompetenzen und ihre Wirkung auf den Erfolg am Arbeitsmarkt untersucht. In einer 2005 erschienenen Studie mit dem Titel »People People« analysierten Bruce Weinberg, Lex Borghans und Bas ter Weel, wie bestimmte Eigenschaften, etwa Kooperationsfähigkeit, Geduld und Motivation, zu wichtigen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt werden. Das Team unterschied zwischen Berufen, bei denen soziale Kompetenzen wichtig sind (zum Beispiel bei der Krankenpflege und im Verkauf), und Berufen, wo sie weniger wichtig sind (beim Bedienen von Maschinen oder als LKW -Fahrer). Die Wissenschaftler stellten fest, dass seit den 1970er Jahren die wachsende Nachfrage nach Soft Skills mit dem Anstieg des Einkommens von Frauen korrespondiert.
Unternehmen wollen sich nicht mehr länger als gesichtslose Vermittler von Autorität präsentieren; in einer zunehmend demokratischen, multikulturellen Zeit möchten sie zugänglich wirken und den Eindruck vermitteln, dass sie auf ihre Kunden eingehen. Bei der Entwicklung eines Logos oder einer Werbekampagne will man nicht einfach die Liste mit den gewohnten Attributen wie stark und marktdominant abhaken. Stattdessen will man nun innovativ, dynamisch, sozial wirken, wie der Werbeexperte David Redhill 1999 erklärte. Im Lauf der Zeit ist dieser Wunsch noch stärker geworden, und heute, im Zeitalter der Selbstdarstellung und sozialen Medien, kommt es praktisch einem Todesurteil gleich, wenn man als abweisendes Patriarchat auftritt.
Das entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie: Ähnlich wie Neubaugebiete nach dem benannt werden, was sie zerstörten, bemühen sich die großen, alles beherrschenden multinationalen Konzerne, die Wärme und Nähe der alten kleinen Läden an der Ecke zu vermitteln, die sie aus dem Geschäft gedrängt haben. Vor kurzem machte die Kaufhauskette Target Werbung auf Bussen, bei der eine Reihe breit lächelnder Frauen verschiedener Herkunft gezeigt wurde. Darunter hieß es, man könne sie alles fragen, die Apotheker bei Target hätten eine freundliche Antwort auf jede Frage, von Aspirin bis Zinksalbe. Der Kunde solle doch einfach vorbeikommen und sich beraten lassen (oder einfach nur Hallo sagen). Wer würde in der Apothekenabteilung von Target einfach nur vorbeischauen, um Hallo zu sagen?
Allerdings ist der Wandel bei den Apotheken nicht nur ein cleverer Schachzug zum Kundenfang. Zur Zeit der kleinen inhabergeführten Läden gab es bei weitem nicht so viele Medikamente. Heute sind Tausende auf dem Markt, und Fehler bei der Kombination können tödlich sein. Da Ärzte und Pharmakonzerne mittlerweile für viele Menschen mit einer kalten, patientenfernen Apparatemedizin assoziiert werden, nutzen Apotheker die entstandene Lücke und präsentieren sich selbst als Helfer vor Ort
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