Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
unwahrscheinlichsten Tatverdächtigen zu einem Mord fähig sind«, heißt es in der Einleitung der Episoden. Wir finden es schwierig, die alte Geschichte von der hilflosen Frau aufzugeben, selbst wenn Frauen denkbar großes Unheil anrichten.
Seit dem Jahr 2000 verübten Frauen in Russland, im Nahen Osten, in Indien, in Sri Lanka und in anderen Ländern mehr als 100 Selbstmordanschläge. Als die »Schwarzen Witwen« von Tschetschenien 2010 in der Moskauer U-Bahn erneut eine Bombe zündeten, wurden sie in den Nachrichten beschrieben, als ob sie einer griechischen Tragödie entstammten: Sie waren durch persönliche Verluste so zerstört und von ihrer weiblichen Natur entfremdet, dass sie einen medea-artigen Racheakt verübten. Eine der Täterinnen befand sich »in emotionaler Verzweiflung, nachdem ihr Ehemann aufgrund eines offenbar geschäftlichen Streits umgebracht worden war«, sagte die Anwältin Natalja W. Jewlapowa der New York Times . Diese Frauen, sagte sie, »werden einfach in eine Ecke gedrängt«.
Die Medien beschreiben die Motive solcher Selbstmordattentäterinnen immer mit ein paar typischen metaphorischen Redewendungen: Sie sind entweder jung und psychisch gestört oder rachsüchtig oder naiv und stehen unter dem Einfluss eines charismatischen Mannes. Die erste bekannte Selbstmordattentäterin war ein 16-jähriges Mädchen, das für eine syrische Widerstandsgruppe arbeitete und 1985 einen Lastwagen in einen israelischen Konvoi steuerte. In den Nachrichten hieß es zunächst, sie sei schwanger, und dann, sie sei depressiv gewesen. Wie sich herausstellte, war sie weder das eine noch das andere. Die Attribute waren nur schmalzige sentimentale Tünche.
»Wie man uns erzählt«, schreibt Lindsey O’Rourke, eine Doktorandin an der University of Chicago, die eine umfassende Studie über alle bekannten weiblichen Selbstmordattentäter erstellte, »werden Frauen aus Verzweiflung oder geistiger Verwirrung, aus religiöser Unterwerfung oder aus Frustration über geschlechtliche Diskriminierung und aus einer Vielzahl anderer geschlechtsspezifischer Faktoren zu Selbstmordattentäterinnen. Allgemeine Einigkeit herrscht offenbar nur darüber, dass männliche und weibliche Selbstmordattentäter völlig verschiedene Motive haben. Das einzige Problem: Es gibt so gut wie keine Beweise für spezifisch weibliche Motive von Selbstmordattentäterinnen.« Genau wie die Männer haben die Frauen eine große Bandbreite von Motiven. Sie können zum Beispiel bei einem früheren Angriff des Feindes ein Familienmitglied verloren haben, aber das ist auch bei den meisten männlichen Selbstmordattentätern so. Insgesamt gesehen führt die große Mehrheit (95 Prozent) ihren Anschlag im Rahmen einer militärischen Operation gegen eine Besatzungsmacht durch.
Motiviert sind die Frauen einerseits durch Loyalität zur Sache und andererseits durch persönlichen Groll, etwa im selben Verhältnis, wie diese Faktoren auch Männer motivieren. Ihre wichtigste Motivation ist jedoch eine ganz andere. O’Rourke kommt zu einem Schluss, den die Mädchen im Pace -Center wahrscheinlich gut verstehen könnten: Selbstmordattentäterinnen sind bemerkenswert erfolgreich. In ihrer Doktorarbeit stellt O’Rourke fest, dass die Anschläge von Frauen fast doppelt so viele Todesopfer fordern wie die von Männern. Eine Selbstmordattentäterin hat größere Erfolgschancen als ein Mann und tötet im Durchschnitt 8,4 Menschen, während ein männlicher Attentäter im Durchschnitt nur 5,3 tötet. Die Frauen profitieren von einem Überraschungseffekt; Sicherheitsleute verzichten dank sozialer Normen oft darauf, sie gründlich zu durchsuchen. Wie britische Behörden herausfanden, lassen sich unter einem klassischen muslimischen Tschador fast fünf Kilogramm Sprengstoff verstecken.
Mitte der 1990er Jahre führten Soziologen an der Princeton University ein Experiment über die Grenzen weiblicher Aggression durch. Zwei gemischte Gruppen von Studenten mussten ein eigens für die Studie entworfenes Videospiel spielen. Man sagte ihnen, ein unsichtbarer Feind werde in den ersten drei Runden des Spiels Bomben auf sie abwerfen und dann dürften sie zurückschlagen. In den ersten drei Runden wurde eine ungeheure Menge Bomben abgeworfen, um bei den Spielern Wut und Frustration auszulösen. Danach maßen die Forscher die Reaktion der Studenten.
Als die Mitglieder der einen Gruppe zum ersten Mal zu dem Projekt kamen, wurden sie gebeten, nahe an den Versuchsleiter heranzutreten
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