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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schaar
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meisten Staaten der Erde haben in den letzten Jahren die Privatsphäre ihrer Bürger immer weiter eingeschränkt. Die Begründungen folgten dabei stets dem gleichen Muster: Unbeobachtete Freiräume werden von Terroristen, Kriminellen und anderen bösen Menschen ausgenutzt. Deshalb müssen mehr Daten erfasst, auch die letzten Winkel ausgeleuchtet oder im wahrsten Wortsinne »erschnüffelt« werden. Solange es noch irgendwelche Bereiche gibt, in denen staatliche Mikrofone, Kameras oder Sensoren nicht eingesetzt werden dürfen, könnten hier schlimmste Verbrechen ausgeheckt werden. Folgt man dieser Argumentation, sind der Überwachung keine Grenzen gesetzt. Dieser Maßlosigkeit des Staates muss sich die Gesellschaft entgegenstellen.
    George Orwell schrieb unter dem Eindruck der totalitären Systeme des Faschismus und des Stalinismus in den Vierzigerjahren sein Werk »1984«. Es handelt von einen Staat, der mit technischen Hilfsmitteln eine – beinahe – totale Kontrolle ausübt. Sein Werk war ein Beitrag zur politischen Auseinandersetzung mit den totalitären Regimen und Ideologien des 20. Jahrhunderts, in denen die Menschenwürde keine Rolle spielte. »1984« ist bis heute das literarische Symbol für die Gefahren des Überwachungsstaats.
    Orwells Horrorvision ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt – ist sie deshalb aber nicht mehr aktuell? Mittlerweile verbindet sich mit »1984« nicht mehr durchgängig die Vorstellung, dass es sich dabei um eine Beschreibung von Gefahren handelt. Während bei Orwell der »Big Brother« den allwissenden totalitären Staat repräsentiert, führt uns eine gleichnamige Realityshow im Fernsehen den überwiegend langweiligen Tagesablauf von Menschen vor, die sich – gegen Entgelt – über Wochen und Monate in einen »Container« begeben und sich für die Fernsehöffentlichkeit Tag und Nacht von Kameras überwachen lassen. Big Brother sind wir alle – so lautet die gar nicht so versteckte Botschaft -, und wir beobachten uns selbst und finden dies auch noch interessant.
    Von besonderer Bedeutung ist bei der Orwell’schen Vision die Verknüpfung von totalitärem Staat und technischer Überwachung. Orwell warnte nicht vor der Technologie an sich, sondern vor der Gefährdung der Demokratie und der Selbstbestimmung durch totalitäre Ideologien und Mächte, die sich der Überwachungstechnik bedienen könnten – eine Befürchtung, die bis heute ihre Berechtigung hat.
    Heute stehen weitaus mehr und sicherlich auch effektivere Überwachungstechniken zur Verfügung, als im Jahr 1948 für »1984« befürchtet wurde. Orwells Vision hat sich hingegen in Bezug auf die gesellschaftliche Entwicklung zum Glück nicht bewahrheitet. Die Demokratie ist heute weltweit wesentlich weiter verbreitet als damals. Demokratie bedeutet stets auch Begrenzung staatlicher Macht, Schutz von Menschenwürde und Privatsphäre. Allerdings findet auch in der Demokratie heute zunehmend Überwachung statt, und Mehrheiten der Bevölkerung sind allzu häufig bereit, zugunsten von mehr Sicherheit auf Freiheitsrechte zu verzichten und Einschränkungen der Privatsphäre in Kauf zu nehmen – etwa nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (vgl. 3.5).
    Ohne eine Vielzahl von Daten würde kein moderner Staat funktionieren. Da der Staat nicht mehr – wie bis in das Mittelalter hinein – im Wesentlichen Ausdruck persönlicher Abhängigkeiten ist, musste er seine Beziehungen zu den Bürgern auf eine objektive Basis stellen. Er ist hinsichtlich seiner Finanzbeziehungen (Steuererhebung, Ausgabenbewirtschaftung) zunehmend auf Informationen angewiesen. Dass die gesammelten Daten auch dokumentiert werden, drückt sich im Grundsatz der Schriftlichkeit der Verwaltung aus. Indem staatliches Walten und Gestalten in Akten zusammengefasst und archiviert wurde, konnten sich moderne Bürokratien herausbilden. Auch dies drückt das Streben nach Objektivität aus, selbst wenn die infolgedessen dokumentierten Maßnahmen vielfach ein hohes Maß an Willkür aufwiesen.
    Von der Ausstellung der Geburtsurkunde bis zum Totenschein – das gesamte Leben wird zunehmend erfasst und dokumentiert in Urkunden (»Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare«), Zeugnissen und Bescheinigungen. Bereits geraume Zeit vor der flächendeckenden Einführung der Computertechnologie wurden wir zudem nicht nur unter unserem Namen, sondern unter verschiedensten Registriernummern verzeichnet: Rentenversicherungsnummer, Immatrikulationsnummer,

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