Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Brüste, und auf meinen Hüften die Illusion von Kurven und Weiblichkeit oder zumindest Teenie-Mädchenhaftigkeit. Auf den nackten Zehenspitzen, die ramponierten Schienbeine hinter gestärktem Stoff versteckt, war ich beinahe Dusty, wenn man die Augen zusammenkniff, und von weit weg.
Jetzt muss ich daran denken, was alles passiert ist, als ich mich vor dem dreiteiligen Spiegel im Kaufhaus drehte wie eine Ballerina. Evie, in einem Augenblick verschwunden. Hat er ihr die Augen verbunden und sie auf seinen Rücksitz geschoben? Oder, schlimmer, wie in dem einen Fernsehfilm, sie in den Kofferraum gesperrt, wo sie, wenn sie schlau genug war, das Kabel zum Bremslicht abklemmen konnte? Den Film hatten wir doch zusammen gesehen, oder, auf dem Fußboden im Wohnzimmer? Vielleicht hatte Evie sich daran erinnert, dass das Mädchen so schlau gewesen war, das Rücklicht rauszutreten und den Arm durch das zerbrochene Plastik zu stecken und so lange zu winken, bis der gut aussehende Polizist den Arm bemerkte, den weißen winkenden Arm. Dusty hatte gelangweilt auf der Couch gelegen und gesagt, das müsse wohl ein alter Film sein, heutzutage hätten alle Kofferräume Notöffnungsvorrichtungen, aber Evie war sich da nicht so sicher, und ich auch nicht.
Wenn ich mir Evie an einem so dunklen Ort eingesperrt vorstelle, will ich an etwas reißen und zerren, also ziehe ich an dem Plastiksack, bis das Plastik über meinen Handknöcheln reißt und das Kleid von dem gepolsterten Bügel rutscht, und dann kicke ich es nach ganz hinten in den Kleiderschrank.
Ich schmeiße die Tür zu, dass der Spiegel daran klappert, und fühle mich sehr tragisch; so was tut man, wenn einem die beste Freundin genommen wurde, so was tut man. Man hat Angst um sie und Mitleid, und man knallt Türen zu und schluchzt.
Aber irgendetwas habe ich noch im Hinterkopf, und das sorgt dafür, dass ich etwas weiß. Zum Beispiel, dass Evie nie in Mr. Shaws Kofferraum war. Das weiß ich. Ich weiß nicht, woher, aber ich weiß es. Wie ich auch weiß, dass sie nicht tot ist, nicht unter einem Meter Erde begraben, sich nicht gerade in Kalk auflöst. Nein, sie ist nicht tot, sie ist weg, sie ist weg. Verschwunden. Fort. Hinter diesen Wörtern steckt alles Mögliche, und ich kann ihnen jetzt nicht auf den Grund gehen. Aber ich spüre es.
Am nächsten Tag wache ich auf und weiß selbst nicht, was ich erwarte, aber irgendwie rechne ich mit Neuigkeiten. Damit, dass die Polizisten, die im ganzen Land unterwegs sind, die Brotkrümelspur gefunden haben. Aber meine Mutter hat die Hand auf dem Küchenradio liegen und schüttelt nur den Kopf.
»Ververtochter … mehr als zweihundert Anrufe bei der Polizei ein, aber es gibt keine weiteren Erkenntnisse …«
Was ich dachte, war: Ich hatte ihnen doch gesagt, was sie wissen mussten, oder? Die Zigarettenstummel, das Auto? Worauf warteten sie denn noch? Konnten sie nicht einfach ihren langen Haken auswerfen, und ihn – sie beide – an Land ziehen?
Wieder holt Ted mich ab, aber er hat sein Spanischbuch vergessen, und wir müssen noch mal zur Highschool zurück.
Solange er drin ist, warte ich auf dem Parkplatz, trete gegen den Bordstein und gucke aufs Hockeyfeld, denke an alles Mögliche, träume mir Dinge dahin, wo sie hingehören, verglichen damit, wo sie sind, so kaputt und durcheinander.
Ich sehe jemanden rennen, ein grünes Flackern. Ich strecke schon die Hand nach dem Türgriff aus, drehe mich aber noch einmal um, und da ist das Flackern verschwunden, stattdessen ist es Dusty, in Uniform und dickem Rollkragen-Laufshirt, sie steht da und umwickelt ihren Hockeyschläger mit Tape, das Knie auf eine Bank gestellt, Schmutzstreifen am Schienbein.
Ich will gerade etwas sagen, kann mich dann aber doch noch bremsen, aber sie hört mich, hebt den Kopf und sieht mich durch ihr blondes Haar hindurch an, ein paar Strähnen ihres üppigen Ponys haben sich aus dem eng anliegenden, gezackten Haarband gelöst.
»Soll ich dich trainieren, Schnecke?«, fragt sie.
Ich muss daran denken, wie ich bei den Ververs am Treppenhaus vorbeikam und sie oben weinen hörte.
»Ich wusste gar nicht, dass du in der Schule bist«, sage ich, als sie sich aufrichtet.
»Hier bin ich«, sagt sie gefasst, aber kurz zuckt etwas in ihrem Gesicht. Ist doch klar, auch wenn sie gerade ganz entspannt wirkt, entspannt und selbstbewusst.
»Ins Mittelfeld«, sagt sie und reicht mir einen der Schläger, die nach dem Training liegen geblieben sind. »Ich decke dich. Mal sehen,
Weitere Kostenlose Bücher