Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Buchstabe übrig ist. Der sagt einem dann die Zukunft voraus, die man mit diesem Jungen hat:
F steht für Freundschaft, L für Liebe, A für Affäre, M für Mistkerl und E für Ehe.
Wir diskutieren die Unterschiede zwischen Affäre und Liebe. Tara sagt, eine Affäre bedeutet, nur einmal Sex zu haben. Joannie meint, eine Affäre kann jede Menge Sex sein, es ist nur ohne Gefühle. Ich kann mich nicht entscheiden, ich schüttele meine Beine aus und frage mich, wo das Dehnungsgefühl hin ist. Mein ganzer Körper fühlt sich angespannt an, wie zusammengefaltet.
Die meiste Zeit reden wir jedoch über Evie.
»Sie liegt bestimmt irgendwo in einem Keller«, sagt jemand, »an eine Heizung gefesselt.«
»Pete Shaw war heute nicht in der Schule.«
»Ist auch besser so. Die würden ihn ja fertigmachen.«
Anscheinend weiß jeder, dass Mr. Shaw der, wie Joannie es ausdrückt, ›Hauptverdächtige‹ ist, und es wird viel darüber geredet, dass ich sein Auto gesehen habe, was nur von Tara verbreitet worden sein kann, weil ihr Vater ja bei der Staatsanwaltschaft ist. Plötzlich bin ich total beliebt.
»Es hätte genauso gut dich erwischen können, Lizzie«, sagt Joannie, und zeigt mit ihrem geschwungenen Delfin-Kuli mit der Flosse hinten dran auf mich. »Es hätte genauso gut dich treffen können.«
Dieser Gedanke war mir noch gar nicht gekommen. Jetzt lässt er mich nicht mehr los. Stimmt das? Wenn ich diejenige gewesen wäre, die allein zurückblieb, die auf der menschenleeren Straße vor der leeren Schule stand? Was, wenn ich es gewesen wäre, die aus allem herausgerissen und ins Dunkel verschleppt wurde? Hätte Mr. Shaw …
»Auf keinen Fall.« Tara schüttelt entschieden den Kopf. »Er wusste, wen er wollte.«
Ich denke an die Zigarettenkippen und weiß, sie hat recht. Um mich ging es nie.
Und damit sind die heimlichen Gedanken, die kurz in mir aufgestiegen waren, zum Schweigen gebracht.
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn unter den dunklen Ästen des Birnbaums stehen, mitten im Garten, und warten. Was hat er in der dünnen Evie gesehen, in ihren großen Regenpfützenaugen, ihrem nervösen kleinen Körper, darin, wie sie immer Luft eingesogen hat, wenn sie nachdachte, angestrengt, über Algebra, und wie sie immer den geriffelten Streifen von ihrem Spiralblock abzupfte, ein Stück nach dem anderen?
Dieses Mädchen, ein Mädchen, und er ein Mann mit einer Firma und einer Sekretärin und einem Haus mit einem Kamin und Rechnungen und einem Sohn und einem Dach, auf dem drei Schindeln fehlen, und einer hübschen Vogeltränke aus Stein, die ich Mrs. Shaw, ein Tuch in den Haaren, manchmal mit einer hübschen Kelle säubern sah.
Wie kann dieser Mann, so ein Mann, ein Mann wie jeder andere, nachts herumlaufen und im Garten eines Mädchens stehen, rauchen und zu ihrem Fenster hinaufsehen und plötzlich nicht mehr in der Lage sein, sich ihrem Zauber zu entziehen?
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7.
M ein Bruder Ted holt mich von der Schule ab. Seine Augen sind hinter der Sonnenbrille nicht zu sehen, seine Bewegungen sind selbstsicher und eindrucksvoll, als er das Lenkrad nach rechts und links dreht, seine langen Glieder ragen an allen Ecken aus dem Fahrersitz heraus, das lange Haar fällt ihm über die Ohren.
Er fährt um die Kurven, und ich werde auf dem Beifahrersitz hin und her geschleudert. Die Straßen sind so leer wie zu Weihnachten. Keine der üblichen Rasselbanden unterwegs, wild und energiegeladen. Ich stelle sie mir alle in ihren heimischen Wohnzimmern vor, auf ihren Sofas, wie sie auf die Fernseher starren, und ihre Eltern stehen im Türrahmen wie Wächter.
Wir fahren am All-Risk-Büro vorbei, aus dem Radio dröhnt Heavy Metal, Teds riesige Basketballerhand bildet eine Faust um den Schaltknüppel.
Das Büro liegt im Dunkeln, das rote Uhrengesicht auf dem GESCHLOSSEN – Schild grinst durch das Rauchglas.
»Krankes Arschloch!«, brüllt Ted im Vorbeifahren. Die Autofenster sind zu, aber er brüllt trotzdem.
Beinahe muss ich lachen. Ted zerrt am Lenkrad, und wir rasen unsere Straße hinunter, der Bass kribbelt mir in den Beinen, ich klammere mich am Türgriff fest. Auf dem Rücksitz höre ich meinen Schulranzen herumfliegen.
Das Quietschen, als wir in unsere Einfahrt fahren, erschreckt mich. Das Rollo in Mrs. Darltons Fenster nebenan bewegt sich, ihr empörtes Gesicht bohrt sich geradezu durch die Lamellen.
»Hör mal«, sagt Ted und dreht die Musik leiser, während ich meine Bücher zusammensuche, die auf dem Fußboden
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