Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
ich es in der Nähe von ihnen allen aushalten soll. Es ist zu schrecklich, und wenn ich allein bin, muss ich über den Teil wenigstens nicht nachdenken.
»Sie finden ihn bestimmt«, sage ich, aber ich frage mich langsam, was ich damit überhaupt meine.
»Du hast gesagt, er war es«, bricht es aus ihr heraus, ein hartes Stottern, als wäre der Gang nicht richtig drin. »Du hast gesagt, du hast ihn gesehen. Sein Auto.«
Sie sieht mich an, und da spüre ich es. Ich spüre, wie es sie zerreißt. Ich habe Dusty noch nie so gesehen, sie bringt die Worte nicht über die Lippen.
»Vielleicht habe ich mich geirrt«, platze ich heraus, aber es klingt total falsch. Diese Möglichkeit habe ich noch nicht mal in Erwägung gezogen. »Vielleicht war es doch nicht sein Auto.«
Dusty sieht mich an, ihre Miene wird wieder gefasster, sie hat sich wieder im Griff.
»Natürlich war es sein Auto«, sagt sie.
»Woher weißt du das?« Ich sehe ihr an, dass sie sich sicher ist.
»Du weißt es doch auch. Du weißt doch immer alles. Ich dachte, du weißt es.«
»Ich glaube schon«, sage ich. »Ich glaube, es war sein Auto.« Diese Gewissheit in ihrem Gesicht wirkt so knallhart. Ich zweifle an mir, dann zweifle ich an meinen Zweifeln. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.
[Menü]
9.
I ch gehe den Schulkorridor entlang, ziehe meinen Rucksack auf dem polierten Boden hinter mir her und denke an Dusty, und was sie wohl weiß. Hat Evie ihr die Zigarettenkippen womöglich auch gezeigt, oder ist es etwas anderes? Evie hat Dusty doch nie irgendwas erzählt, oder? Wenn man mit Dusty sprach, musste man das vorher fast proben und dann besser denn je sein, denn ihre Geduld war begrenzt.
Im Kopf spiele ich es immer wieder durch, immer wieder frage ich Dusty zurück: »Woher weißt du es denn, Dusty? Woher weißt du, dass es Mr. Shaw ist?« Aber unter ihrem Raubvogelblick habe ich es nicht herausgebracht.
Die Tür zum Lehrerzimmer ist nur angelehnt, und ich sehe sie alle um das Fernsehwägelchen stehen, das die Lehrer ins Klassenzimmer schieben, wenn sie keine Lust haben, etwas zu tun und uns lieber noch mal diesen alten Romeo-und-Julia-Film mit den Hippies zeigen.
Ich tue so, als müsste ich mir den Schuh zubinden und gehe in die Hocke, aber Mr. Moskaluk sieht mich und macht die Tür zu.
Das gefällt mir nicht. Aber gar nicht.
In der Schulbibliothek finde ich Kelli und Tara zusammen in eine Lesenische gequetscht, fast schon schwitzend vor Aufregung. Sie winken mich mit allen verfügbaren Armen heran.
Komisch, ich habe noch nie so viel Zeit mit diesen Mädchen verbracht, und wenn doch, dann war Evie dabei, wir waren immer Lizzie-und-Evie, Lizzie-und-Evie. Und jetzt war ich allein Lizzie-und-Evie.
Sie erzählen mir alles, und wir müssen leise sein, die Bibliothekarin mit der rosa getönten Brille starrt uns böse an, und es ist wie ein einziges, langes Flüstern in meinem Ohr. Das erzählen sie mir: Eine alte Frau, die auf der anderen Seite des Green Hollow Lake wohnt, hat sich bei der Polizei gemeldet und gesagt, sie hat an dem Nachmittag, als Evie verschwunden ist, um fünf Uhr ein Mädchen gesehen, das genau wie Evie aussah. Sie ging am Green Hollow Lake entlang, eine halbe Meile von der Schule entfernt. Am Abflusskanal blieb sie stehen, wo das Wasser durch den Überlauf schießt, und stand da einen Moment lang.
»Und dann ist sie einfach reingesprungen«, sagt Kelli, den Mund ganz nah an meinem Ohr, ihre Armreifen kratzen mich im Gesicht.
»Die Dame hat gedacht, sie will schwimmen«, sagt Tara höhnisch. »Klar, ich schwimme auch immer in allen Klamotten.«
»Aber dann hat sie sie nicht wieder rauskommen sehen«, sagt Kelli, lehnt sich zurück und ringt ungläubig die Hände. »Da hat sie sich gedacht, das Mädchen ist wohl einfach weggeschwommen.«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, sage ich.
»Mehr Sinn als ein paar Kippen«, sagt Kelli mit einem affigen Grinsen.
Es brennt auf mir, ich spüre es an ihrem Atem, daran, wie sie mich angucken, als hätte ich mir das alles ausgedacht.
»Das macht man doch im See nicht«, sage ich und kämpfe gegen das Geschrei in meinem Kopf an. »Die Strömung. Ich bin da mal reingefallen, als ich klein war. Man schwimmt nur in den Schwimmbereichen. Man springt da nicht einfach rein. Wegen der Strömung.«
In meinem Gehirn prickeln die ganzen Ertrunkenen, die jungen Männer, deren Dingi gekentert ist, das Mädchen, das sich an einem Stein den Kopf gestoßen hat und im Überlauf ertrunken
Weitere Kostenlose Bücher