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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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unsichere Schlaksigkeit von Jungs, die so schnell gewachsen sind, dass es ihnen selbst ganz komisch vorkommt, und die sich in ihrer Haut noch nicht richtig zu Hause fühlen?
    Ich sehe es deutlich vor mir, Mrs. Verver mit langen, sonnengebleichten Haaren, wie auf dem alten Foto auf dem Kaminsims, mit wiegenden Hüften kommt sie auf ihn zu, lässt ihn nicht aus den Augen, wie hypnotisiert.
    Und wenn Mr. Verver damals schon so selbstbewusst, so cool und lässig war wie heute, was ich annehme, dann war sie dagegen natürlich machtlos.
    »Welches Lied haben Sie gespielt?«
    »Weiß ich nicht mehr«, sagt er, aber ich merke ihm an, dass es ihm auf der Zunge liegt. Und während er die Skulptur hin und her dreht, sie betrachtet wie eine Kristallkugel, lächelt er plötzlich.
    »›Moonlight Drive‹«, sagt er.
    Ich nicke eifrig, obwohl ich noch nie davon gehört habe, aber es klingt romantisch, nach verlassenen Highways, roten Bremslichtern, die auf verträumten Gesichtern aufleuchten, verhängnisvoller Liebe.
    »Wenn ich es finde, spiele ich es dir mal vor.«
    »Auf dem Klavier?« Ich hüpfe auf und ab und kann mich kaum zusammennehmen.
    »Ich habe ja nicht mal mehr ein Keyboard«, antwortet er und sieht mich sanft an. »Aber ich suche mal die Platte raus.« Er zeigt auf ein Drahtgestell voller Schallplatten, das gefährlich schief in der Ecke steht. »Irgendwo da muss sie sein.«
    Ich unterdrücke den Impuls, gleich hinzulaufen und zu gucken. Stattdessen presse ich mich an die harte Lederfront der Bar, lege die Hände auf die Skulptur und hoffe, dass er weiterredet. Genau das habe ich mir immer gewünscht, ohne es zu wissen. Mr. Verver reden und reden zu hören, und niemand unterbricht uns, nicht Mrs. Verver, nicht meine Mutter, nicht Dusty, niemand ruft ihn, sonst ruft ihn immer jemand.
    »Ich habe es immer für Dusty gespielt, als sie noch klein war«, sagt er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Sie hat dazu getanzt. Ist herumgewirbelt, mit ihren Korkenzieherlocken.«
    Dann wird auf einmal alles ganz langsam, als wüssten seine Worte, in welche Dunkelheit sie sich begeben, wo sie enden werden. »Die kleine Evie hat auch versucht zu tanzen. Sie wollte immer wie Dusty sein. Sie ist ihrer Schwester zwischen die Beine gestolpert, und dann sind sie übereinander gepurzelt.«
    Sein Gesichtsausdruck ist, wirklich, es ist schrecklich. Mit jedem Wort verschwindet das Leuchten weiter, das Funkeln aus seinen Augen. Unser schönes, fröhliches Schwatzen findet ein abruptes Ende in düsterem Schweigen.
    Wir sehen uns an, und ich möchte nur noch nach Hause.
    Ich stehe vor unserer Hintertür und will reingehen. Ich kann aber nicht, weil ich an Mr. Verver denken muss und mich frage, ob er wieder in den Keller gegangen ist, nachdem er mich zur Tür gebracht hat. Fährt er jetzt mit den Fingern über die verknickten und zerfledderten Plattenhüllen und sucht nach seinem Lied? Oder sitzt er nur da und trinkt ein Bier, das Gewicht der ganzen Welt auf den Schultern?
    Ich stehe da, und auf einmal springt sie hervor und erschreckt mich fast zu Tode.
    »Lizzie«, zischt es, ich drehe mich blitzartig um, und da steht Dusty, barfuß, im langärmligen Celts-Shirt und kurzen Hosen. Sie hat lange, leicht gebräunte Beine, nur am Knie eine weiße Narbe von ihrer berühmten Verletzung vom Spiel gegen die Stallions letztes Jahr. Das andere Mädchen hatte sich dabei den Kiefer gebrochen. Ihr Gesicht sah aus wie ein offener Reißverschluss. Oh, was haben wir Dusty dafür bewundert.
    »Hi«, sage ich und lehne mich an die Hauswand wie ein Krimineller, der durchsucht werden soll.
    »Du hast mit Dad geredet«, sagt sie.
    »Ja, ich habe dir den Pokal für die beste Spielerin vorbeigebracht.«
    Sie antwortet nicht, starrt mich nur an. »Hast du die Nachrichten gesehen? Sie können ihm nichts nachweisen.«
    Das wirft mich zurück.
    »Noch nicht«, sage ich. »Aber sie werden ihn schon finden. Sie suchen überall.«
    »Die haben keine Ahnung, wo er ist«, sagt sie, schüttelt den Kopf, ihre Stimme bricht. »Sie vermuten ihn in Kanada. Die Zigaretten sind mittlerweile egal. Er raucht nicht. Die wissen nur, dass Evie verschwunden ist, und er auch.«
    Sie sieht mich an.
    »Die können es ihm nicht nachweisen«, wiederholt sie. »Und wenn sie das nicht können, wie sollen sie dann jemals herausfinden, was passiert ist?«
    Ich höre ihr zu, aber es ist alles so hoffnungslos. Diese Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme. Für Dusty eher Wut.
    Ich weiß nicht, wie

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