Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
so eingesperrt gefühlt. Hier draußen liegt immer noch die schwere Junihitze, aber es geht ein leichtes Lüftchen.
Und ich habe etwas zu gucken. Kommt mir vor, als würde ich immerzu gucken.
Vor dem Haus der Ververs steht ein Auto, ein einzelnes blaues Auto.
Ich erkenne es sofort. Bobby Thornhill. Bobby Thornhill ist wieder da. Alle anderen – Nachbarn, der umherschleichende Postbote, sogar der Typ, der den Gemeindebrief austrägt – haben sich zurückgezogen, seit das alles passiert ist. Sie bleiben alle auf Abstand, wollen sich nicht aufdrängen, dran rühren, dran kratzen, zu nahe kommen.
Nicht so Bobby Thornhill, und mir wird ganz warm ums Herz. Irgendwie bin ich dankbar dafür. Trotz allem gibt es immer noch das. Das lebt weiter und atmet und schnappt nach Luft und stottert. Es ändert sich nicht. Es hört nicht auf.
Bobby Thornhill fährt immer noch im Schneckentempo unter den Straßenlampen hindurch, er hat das Licht ausgeschaltet, seine Schultern sacken nach vorne, er verrenkt sich den Hals und starrt zu den Ververs.
Bobby Thornhill glotzt sehnsüchtig in Dustys Fenster, dieses verheißungsvolle Fenster, eine Art Einladung mit Vorhängen davor.
»Wie lange reicht einem Gucken?«, hat mein Bruder gefragt. Aber welcher Junge hätte Dusty jemals angefasst, ihr die Zunge in den Mund gesteckt, ins Ohr, nach Wegen in sie hinein gesucht und das gefunden, was ihm versprochen war, durch ihr schiefes Lächeln, ihr goldenes Mädchengesicht? Ich weiß, dass es schon passiert sein muss, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ich kann es mir nicht mal vorstellen.
»Ich sehe Dusty eher mit Jungs vom College«, hat Mr. Verver sie mal aufgezogen, den Kopf auf einem Kissen, das auf Dustys Schoß lag.
Evie und ich hoben die Köpfe, wir wollten wissen, was er meint, was er über Dusty wusste und darüber, was sie haben sollte und würde.
»Studenten. Nickelbrillen und Scotch. Sie werden ihr auf Poetry Slams Gedichte widmen, auf schrammeligen Gitarren Lieder komponieren und ihr versprechen, sie aus dieser Vorstadttristesse herauszuholen.«
Dusty verdrehte theatralisch die Augen, tat, als würde sie schnarchen, zog an Mr. Ververs dunklem Haar und verdrehte es zwischen ihren zarten Fingern.
Es muss Jungs gegeben haben, die Dustys Herz schneller schlagen ließen, aber ich habe es ihr nie angesehen.
Aber dir, Bobby Thornhill, bin ich dankbar. Du erinnerst mich an vorher, gerade als »vorher« für immer verloren zu sein scheint.
Ich schleiche die Einfahrt runter und denke, vielleicht komme ich näher an ihn ran und kann irgendwas sehen. Etwas, das ich vielleicht sehen möchte, seinen ruckenden Kopf, glasige Augen, und darin eine Magie, wenn er sich Dusty vorstellt, vor ihm ausgestreckt, zurückgelehnt, feine Locken zwischen den zarten Fingern verdrehend.
Ich glaube, ich könnte Bobby ansehen, wie er das sieht, und es ist mir egal, was ich sonst noch sehen könnte, sogar das.
Ich bin schon ziemlich nah, da geht plötzlich seine Autotür auf und ich mache einen Satz zurück, auf den Bordstein. Bobby sieht mich verdattert an.
»Was machst du denn hier?«, fragt er und beugt sich aus dem Wagen.
»Nichts«, sage ich.
Auf dem Sitz neben ihm steht ein halb leeres Sixpack in aufgequollener Pappe. Ich rieche das Bier, wenn er spricht.
»Du rufst aber nicht die Bullen, oder?«, fragt er. »Oder ihren Dad?«
»Nein«, sage ich.
»Er scheint ganz cool zu sein«, sagt Bobby. »Sagen alle. Sie tun mir alle so leid.«
Ich nicke, ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.
»Vorgestern Abend ist sie zu mir rausgekommen«, sagt er. »Vielleicht glaubst du mir nicht, du bist ja noch ein Kind. Aber sie ist rausgekommen.«
Ich weiß nicht, ob ich ihm glaube. Aber ich wüsste nicht, warum er lügen sollte.
Ich denke daran, dass sie nie mehr mit Mr. Verver hinten im Garten ist. Ist sein Kummer so groß, dass sie es nicht erträgt, so wie ich es fast nicht ertrage, es ihm anzusehen und es nicht heilen zu können?
Ich stelle sie mir vor, da oben in ihrem rosa Zimmer, rastlos und gelangweilt. Sie weiß nichts mit sich anzufangen, glaube ich. Sie weiß nicht, was sie tun soll, wenn sie nicht in seinem Glanz erstrahlt.
»Sie ist rausgekommen und hat genau hier gestanden.« Er zeigt dorthin, wo ich stehe. Ich sehe an mir hinunter, meine knubbeligen Beine und alten Sneakers.
Er erzählt mir, wie sie ihn gefragt hat, was er hier draußen will, und er nicht wusste, was er sagen soll. Also hat er sie gefragt, ob sie sich zu ihm ins
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