Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Parkplatz, der Bürstenschnitt, der andere und ich. Wir sitzen unter dem Schild INKLUSIVE KABELFERNSEHEN UND WHIRLPOOL, er summt eine Weile vor sich hin, dann spielen wir »Ich sehe was, was du nicht siehst«, wofür ich viel zu alt bin, aber es war meine Idee, weil ich es sonst nicht mehr aushalte.
»Ich hab ein gutes Gefühl«, sagt der Bürstenschnitt zu dem anderen, als würde ich das nicht hören. »Und wenn nichts dabei rauskommt, können wir immer noch bei der Telefongesellschaft gucken, ob wir die eingehenden Anrufe bei ihr« – er nickt in meine Richtung – »zurückverfolgen können. Dann haben wir die Nummer, von der aus die kleine Verver angerufen hat.«
Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, was passiert, wenn sie das tun. Wenn sie rauskriegen, dass an dem Morgen überhaupt niemand angerufen hat.
Evie. Evie. Evie. Bist du jetzt fünfzig Meter von mir entfernt, hinter einer dieser roten Türen, die alle mit einem krummen schwarzen Diamanten bemalt sind, und in der Mitte glitzern die Türspione in der Sonne? Bist du da drin?
Denn, ehrlich gesagt, Evie, habe ich schon länger nicht mehr gespürt, dass du lebst.
Ich sehe sie über den Parkplatz auf uns zukommen, Mrs. Verver an Mr. Ververs Seite zusammengesunken, und ich merke, wie ich mich anspanne.
»Du bleibst hier, Fräulein«, sagt der Polizist und steigt aus dem Wagen. Sämtliche Männer helfen Mrs. Verver, deren Gesicht so ausdruckslos ist wie eine weiße Plastiktüte.
Ich sehe zu, wie sie sie in das andere Auto setzen. Sie falten sie hinein, als hätte sie keine Knochen, die sie aufrecht halten.
Mr. Verver steigt auf der anderen Seite ein und hilft ihr von innen.
Was passiert ist, erfahre ich erst, als der Polizist zurückkommt. Er und der andere Polizist reden auf der gesamten Heimfahrt darüber, als hätten sie vergessen, dass ich da bin.
Der Hotelmanager hat das Bild von Mr. Shaw angeguckt und gesagt, er sieht auf jeden Fall aus wie Mr. Curtis.
Mr. Curtis hatte in Zimmer 202 gewohnt, fast eine Woche lang, zusammen mit seiner kleinen Tochter.
Er sagte, die Tochter sah aus wie Dreizehn, ja, aber er meinte, sie wäre blond gewesen, nicht brünett. Er sah sich ihr Bild genau an und sagte ja, das könnte sie gewesen sein. Er sagte, er habe die Berichte über das vermisste Kind gesehen, das habe ja jeder. Hätte sie dunkles Haar gehabt, dann hätte er natürlich die Polizei benachrichtigt. Er war ein guter Samariter.
Nein, sie hätten nicht ausgecheckt, sagte er noch, daher könne er nicht erklären, warum ihr Auto – ja, ein rotbrauner Skylark – weg war und ihr Zimmer leer bis auf ein halbes Sixpack Dr. Pepper.
Sie müssen in Eile aufgebrochen sein, nahm er an. Aber er verstand nicht, warum, denn Mr. Curtis war am Abend zuvor noch mal gekommen und hatte im Voraus bezahlt, in bar.
Und, ach ja, das hätte er ja beinahe vergessen. Es sei Geld für Mr. Curtis angewiesen worden. Nein, er habe sich nicht die Mühe gemacht, den Personalausweis zu überprüfen, das tue er selten, aber er habe Mr. Curtis gesagt, er müsse 48 Stunden auf das Geld warten. Motelpolitik. Mr. Curtis schien darüber nicht glücklich gewesen zu sein.
Er sei ein angenehmer Mensch gewesen, sagte der Manager. Und er habe sich nett um seine Tochter gekümmert. Er sei jeden Abend in die Stadt gefahren, um ihr Pizza zu holen.
Wir sind auf halbem Weg nach Hause, als ich den Beamten sage, sie müssen anhalten. Ich springe aus dem Wagen und übergebe mich, immer wieder, und der mit dem Bürstenschnitt hält mich in der Taille fest.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie sich angucken.
Die letzten zehn Meilen verkrieche ich mich in der Ecke der Rückbank und bedecke mein Gesicht mit den Händen.
Mr. Verver verbringt den Nachmittag auf der Polizeistation. Meine Mutter kommt ein paar Stunden früher von der Arbeit. Ich muss ihr alles zwei-, dreimal erzählen. Sie steht in meiner Zimmertür, auch noch als ich mir die kratzige Decke über den Kopf ziehe.
Ich will nicht darüber reden.
Ich weiß nicht, was ich fühle.
Meine Mutter sagt dauernd, ich soll es doch so sehen, dass das alles gute Nachrichten sind. Es bedeutet anscheinend, dass Evie lebt, und jetzt hat die Polizei eine heiße Spur. So nennt sie das: eine heiße Spur.
Ich sage nichts, ich mache unter der Bettdecke den Mund auf und zu und lasse mir die abgewetzte Baumwolle in den Mund sinken.
Sie soll endlich gehen.
Sie sagt, sie geht rüber zu Mrs. Verver.
»Sie ist ganz allein«, sagt meine Mutter. »Wie
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