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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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immer.«
    Irgendwann in den verschwommenen Nachmittagsstunden, als ich im Bett liege und halb schlafe, halb in Stücke breche, klingelt das Telefon.
    »Lizzie?« Es ist Pete Shaw, seine Stimme flattert.
    Ihn im Ohr zu haben, bei Tageslicht und nach all dem. ( Was bedeutete es, auf diesem Motelparkplatz zu sitzen und zu warten? Zu wissen, dass sie dort gewesen war, vielleicht nur ein paar Minuten vorher, sie war da gewesen, so nah, dass man sie womöglich noch fühlen konnte, das Quietschen ihrer Turnschuhe auf der Fußmatte hören, ihr babyweiches Haar riechen. Sie waren dort gewesen, dort hinter diesen roten Türen, und hatten diese Dinge getan … und jetzt sind sie weg. Jetzt sind sie weg. Und jeden Abend, den sie dort waren, ist er weggegangen, um ihr etwas zu essen zu holen, hat er sie da eingeschlossen? Hat er sie eingeschlossen? Wie konnte er nur? Aber er hat sie da zurückgelassen, und wenn er wiederkam, war sie noch da und wartete auf das Essen und darauf, dass er die Tür aufmachte und ihr etwas zu essen brachte, wie ein Gefängnisaufseher, nur ohne Schlüssel, ohne Schloss, ohne Gefangenen. )
    »Hast du das getan, Lizzie?«, fragt Pete, und mir schnürt sich die Kehle zu.
    »Ich … ich …«
    »Die Bullen waren gerade hier«, sagt er.
    »Pete«, fange ich an, und innerlich fahre ich fort: Du wolltest doch, dass ich es sage, du wolltest es doch, du hast mich doch praktisch darum gebeten.
    »Lizzie, du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als ich ihr gesagt habe, dass ich das war«, sagt er mit hoher, aufgeregter, fremder Stimme. »Als ich ihr gesagt habe, was ich getan habe.«
    Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er von seiner Mutter spricht.
    »Du hast es ihr gesagt?«
    Er lacht rau, und ich versuche zu verstehen. Ich glaube zu verstehen, aber ich kann es nicht glauben.
    »Sie hat Frühstück gemacht«, sagt er, und ich höre, wie er den Mund an die Muschel presst, als würde er mir ein Geheimnis anvertrauen. »Sie hat gesagt, sie hat so ein schlechtes Gewissen wegen dem Geld. Sie wollte mein Lieblingsfrühstück machen, Pfannkuchen. Sie hatte – das war total komisch – ihren Weihnachts-Morgenrock an. So einen roten mit weißen Pompons drauf, wie eine Nikoläusin.«
    Ich höre zu und ziehe meine Tagesdecke zu mir, Stück für Stück, in meine Faust.
    »Sie hat den Teig angerührt«, sagt er. »Und ich habe gesagt, ›Mom, weißt du, was ich letzte Nacht gemacht habe? Kommst du nie drauf.‹«
    »Pete«, sage ich, aber meine Stimme versagt. Es ist, als wäre er ganz weit weg. So wie alles.
    »Sie hat weiter gerührt, sie hat mich nicht mal angesehen«, sagt er und klingt irgendwie überdreht. »Ich habe ihr gesagt, dass ich jemandem erzählt habe, was wir getan haben. Dass ich alles ausgepackt habe, die Anrufe, die Geldanweisung, das Motel.«
    »Du hast ihr von mir erzählt?« Ich stelle mir alle möglichen schrecklichen Dinge vor. Ich stelle mir vor, dass Mr. Verver das rauskriegt. Ich stelle mir vor, dass er alles rauskriegt, auch dass ich Pete angefasst habe, seine kribbelnde Haut.
    »Ich brauchte ihr gar nicht zu sagen, wem ich es erzählt habe. War ihr egal. Sie stand da, und die Pfanne hat gekokelt, es war alles voller Rauch. Ich habe ihr gesagt, dass ich über Nacht das ganze Kartenhaus abgerissen habe, und was sie dazu meint«, sagt er, und seine Stimme bricht und kratzt in meinem Ohr, »ich habe ihr gesagt, dass ich alles niedergebrannt habe, und sie konnte nichts tun.«
    Sie konnte nichts tun.
    »Aber sie hat was getan, oder?«, sage ich, weil es mir jetzt aufgeht.
    »Sie … sie«, stottert er. »Okay, ja, sie ist zur Telefonzelle gefahren, auf dem Parkplatz an der Kirche. Und hat ihn angerufen. Ihn gewarnt. Aber das war erst später. Das war später, erst …«
    »Pete«, sage ich, und plötzlich gehen in meinem Kopf alle Lichter aus.
    »Lizzie, du hättest das sehen müssen«, sagt er fast flüsternd. »Wir standen beide einfach da in der Küche. Sie hat mich nicht angesehen. Alles war voll Rauch von der Pfannkuchenplatte. Und sie hat gerührt und gerührt und ihr Gesicht … Es tut mir leid, Lizzie. Tut mir leid.«
    »Ich weiß«, sage ich. Natürlich weiß ich. Aber hättest du nicht warten können, möchte ich sagen, aber ich sage es nicht. Hättest du nicht warten können, einen Tag, zehn Stunden? Dann hätten wir sie vielleicht gefunden, Pete. Wir hätten sie vielleicht noch rechtzeitig gefunden.
    »Lizzie«, sagt er. »Ich habe sie die ganze Zeit einfach nur angeguckt, der

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