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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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wie man sie immer auf Flohmärkten findet.
    »Ich habe das ganze Jahr auf ein altes Auto gespart«, sagt er. »Ich hatte achthundertfünfunddreißig Dollar zusammen.«
    Er sieht mich an, seine Hände ballen sich. Es ist heiß im Zimmer, und die Glühbirne über seinem Schreibtisch strahlt erbarmungslos. Das T-Shirt klebt mir am Leib.
    »Ist aber nicht so wichtig. Darum geht’s nicht. Sie stand da«, sagt er und zeigt zur Tür, »und hat geredet und geredet und geredet, und ich saß hier und habe nichts gesagt. Ich habe kein Wort gesagt. Sie hat einfach immer weitergeredet, ich habe gedacht, sie hört nie mehr auf.«
    Je mehr er redet, desto mehr brodelt es in mir, mein Hals kribbelt, und ich denke, was ist, wenn ich mich umdrehe, und Mrs. Shaw steht in der Tür, Mrs. Shaw, die ich nie habe sprechen hören, an die ich nie gedacht habe, an der ich nur vorbeigegangen bin, die ich aus dem Autofenster gesehen habe, vom Fahrbahnrand aus. Ihr Pferdeschwanz und ihre sauberen weißen Tennisschuhe, und ihr ruiniertes Gesicht, wie sie alle diese ruinierten Gesichter haben, wie Mrs. Ververs Gesicht, von einer Bombe in Ruinen gelegt.
    Vor einem Monat, ja, vor einer Minute war sie mir vollkommen egal, aber jetzt, da er mir von ihr erzählt, ragt sie vierzig Stockwerke über mir auf.
    »Sie meint, sie kann die Konten nicht anrühren. Sie sagt, die Landespolizei überwacht alles.«
    Er geht zur Kommode und nimmt den grünen Glasrest in die Hand, eine schimmernde Scherbe.
    Er erzählt mir, wie sie das Sparschwein über den Kopf gehoben und es auf den Boden geworfen hat.
    Als es nicht kaputtging, hat sie es mit zusammengebissenen Zähnen auf die Metallkante des Schreibtischs geschlagen, bis es zerbrach und ihre Hand rot färbte und alles voller grüner Scherben war.
    »Es ist ihr alles ins Gesicht geflogen«, sagt er, »wie Konfetti.«
    Ich sitze da und kann das gespenstische Knirschen unter meinen Füßen fast hören.
    »Sie hat gesagt, ich müsste es machen«, sagt er. »Sie war sicher, dass sie überwacht wird, und ich seine einzige Chance war.«
    Also habe sie ihn nach Hunts Wood geschickt, vierzig Meilen entfernt, wo er eine Möglichkeit finden sollte, eine Zahlungsanweisung zu schicken. Er fand einen Convenience Store, zog sich die Basecap tief ins Gesicht, wie ein Räuber auf einem Überwachungsvideo. Dann musste er kehrtmachen und Mautstraßen vermeiden. Er brauchte pro Strecke zwei Stunden.
    Er hebt ruckartig den Kopf. »Ich hab’s getan. Ich habe ihm das Geld geschickt, wie sie es verlangt hat.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, wahrscheinlich soll ich nichts sagen. Ich betrachte den Teppich und schiebe meinen Fuß darauf herum.
    »Er hat sie darum gebeten«, sagt er und sieht mich an, also hebe ich den Kopf, und er hält die grüne Scherbe so fest, dass seine Haut ganz weiß wird und Blut kommt. Er merkt es überhaupt nicht. Das Blut ist fast schwarz und rinnt ihm in schmalen Streifen durch die Finger.
    Ich muss ihn fragen. Ich muss ihn fragen. In seinem Kummer entgleitet es ihm, und das ist meine einzige Chance.
    »Pete« sage ich, und mein ganzer Körper ist angespannt und konzentriert. »Würde er ihr etwas antun? Hat dein Vater Evie etwas getan?«
    Er lässt die Arme sinken und presst die Hände zusammen. Er sieht zur Tür, in die Dunkelheit im Flur.
    »Er hat uns allen was getan.«
    In ihm ist so ein Kuddelmuddel, als er das sagt, aber es beantwortet meine Frage nicht, nicht so, wie ich es brauche.
    »Hat er ihr wehgetan?«, frage ich. »Meinst du, er hat ihr was angetan?«
    Er schüttelt sich aus der Erstarrung und sieht mich an.
    »Keine Ahnung«, sagt er, so einfach, als wäre er auf den Gedanken noch gar nicht gekommen. Irgendwas daran, die Forschheit, die Resigniertheit, erinnert mich an Dusty.
    Er schüttelt den Kopf und wendet sich von mir ab, seine Stimme bricht. »Ich hasse sie.«
    »Du hasst sie«, gebe ich zurück, weil ich weiß, dass ich das soll. Weil es beruhigt, das zu sagen, es tröstet, dämpft, und ich weiß, dass es bedeutet: ich liebe sie, ich liebe sie, ich liebe sie, und er hat uns alle ruiniert.
    Ich empfinde seine tiefe Verzweiflung mit. Ich würde ihn gern berühren, aber es ist unmöglich, ihn zu berühren. Es kommt mir vor, als wäre er unberührbar.
    Aber dann berühre ich ihn trotzdem, an der heißen Innenseite seines Arm. Ich lege meine Finger dahin, spüre die Rippen unter seinem T-Shirt und sein Schaudern.
    Ich hasse sie, ich hasse sie, murmelt er, wieder und wieder. Man kennt

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