Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
Vom Netzwerk:
traf.
    Ich folge ihr auf die Mädchentoilette und sehe ihr zu, wie sie Blut ins Waschbecken spuckt.
    Ich schaue in den Spiegel, drücke mir die Mullbinde auf die Augenbraue, betrachte uns beide.
    »Ich wusste, dass du es drauf hast«, sagt sie, wirft mir einen Blick zu, wischt sich den Mund ab. »Du warst schon immer härter im Nehmen als sie.«
    Ich bin total verdattert.
    Wir sitzen auf dem Fußboden und begutachten unsere geschundenen Körper, ihre blutige Schönheit.
    Ich rolle meine Kniestrümpfe hinunter und lasse Luft an mein Bein, es brennt, die roten Striemen sind irgendwie aufregend.
    »Du hast mich angelogen«, sage ich, weil ich das Gefühl habe, jetzt kann ich alles zu ihr sagen. »Du und Evie, ihr habt Mr. Shaw gar nicht zusammen draußen gesehen, stimmt’s? Warum hast du mich angelogen?«
    »Kommt doch aufs Gleiche raus.« Sie zuckt die Achseln, fast gelangweilt. Ich stelle die falschen Fragen. Das hier berührt sie gar nicht, dringt nicht an ihr klopfendes Herz. »Ich wollte nur, dass du mir glaubst. Ich wollte, dass du weißt, was sie getan hat.«
    Ich spucke die Worte aus. Jetzt hält mich nichts mehr zurück.
    »Dusty, was glaubst du, warum Evie zu Mr. Shaw ins Auto gestiegen ist?«
    Sie zögert keine Sekunde.
    »Weil sie widerlich ist. Weil sie ein widerliches kleines Mädchen ist und nicht anders kann.«
    Ich zucke zusammen, kämpfe dagegen an.
    »Warst du da, Dusty?«, frage ich. Es ist die reine Vermutung. »Hast du versucht, ihn aufzuhalten? Oder sie?«
    Dusty schweigt einen Moment. Sie ist so still, dass ich die Klimaanlage hören kann, das ferne Dröhnen eines Rasenmähers.
    »Hat Evie dir das erzählt? Dass ich versucht habe, sie aufzuhalten?«, fragt sie zurück, dann schüttelt sie den Kopf und fügt hinzu: »Nein, so etwas würde sie dir nicht erzählen.«
    »Sie hat mir gar nichts erzählt«, sage ich und betrachte mein rotgesprenkeltes Knie. »Aber du warst dabei, oder? Als Evie mit ihm abgehauen ist?«
    Sie schweigt wieder, hat den Kopf leicht gesenkt.
    »Ich habe sie gesehen«, sagt sie.
    Dann kommt alles auf einmal heraus.
    Als sie anfängt zu reden, ist es, als hätte sie es schon tausendmal erzählt, als hätte sie die Geschichte im Kopf immer wieder geübt. Nicht, weil es falsch klingt, ausgedacht, sondern weil sie schon seit Monaten versucht, es auf die Reihe zu kriegen, in ihrem Kopf.
    Ihr Gesicht rötet sich, ihre Schläfen glühen, sie hält sich an ihren Worten fest, ihrem Rhythmus, dem Erzählen, wie sie es sich selbst erzählt hat.
    Sie redet, oh, sie redet, wie Dusty es sonst nie tut, die Worte kommen einfach aus ihr heraus, und ich sehe es, direkt vor mir. Ich sehe alles, als würde es gerade vor meinen Augen geschehen:
    Dusty hatte ihn im Garten gesehen, die Rauchkringel, das nächtliche Zirpen der Grillen, der geheime Fleck in der Mitte des Gartens. Vom hinteren Fenster aus, im Licht des Halbmonds, da hatte sie ihn gesehen.
    Sie musste lange hinstarren, bis sie ihn erkannte. War das nicht Pete Shaws Dad? Mr. Shaw?
    Zuerst dachte sie, er wäre ihretwegen da. Ist doch klar. Das machten die Jungs doch immer; sie aus der Ferne beobachten und hoffen. Warum also nicht auch Männer. Ihr Dad sagte doch auch immer, sie sei zu gut für Highschool-Jungs, sie sei für Männer gemacht.
    Dann sah sie ihn eines Abends vom Fenster ihrer Schwester aus. Sie zeigte Evie gerade, wie man einen Kompressionsverband richtig anlegt, sie hatte einen geprellten Knochen vom Training im Garten, und die Vorhänge waren offen.
    Es war, als hätte sie ihn schon gespürt, bevor sie ihn sah, und das war gut möglich. Er strahlte so eine schreckliche Hitze aus, so viel Verlangen, so was Animalisches, wie ein Keuchen im Ohr. Ihr wurde davon ganz schlecht und schwindelig.
    Und dann sah sie es Evie an. Nur ein ganz kurzes Zucken, aber sie hat es gesehen. Eine kleine Kopfbewegung, Evie drehte sich vom Fenster weg und schaute Dusty an, ob sie ihn auch gesehen hat. Oder, noch schlimmer, ob sie gesehen hat, dass Evie ihn sah.
    Dusty hat es mitbekommen, mit ihren tollen Reflexen. Sie hat es gesehen und wusste Bescheid. Evie hatte ihn auch gesehen, schon viele Male, und sich nicht getraut, Dusty davon zu erzählen.
    Es widerte sie an. Sehr. Nächtelang dachte sie darüber nach, was das zu bedeuten hatte, und warum Evie das nicht eklig fand, ein Mann, der ihr Vater sein könnte. Aber anstatt es eklig zu finden, schien sie …
    Ein Mann, ein Ehemann und Vater, der sich wie ein Teenager benimmt. Wie ein verliebter

Weitere Kostenlose Bücher