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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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verrückte Freiheit, und ich beobachte Dusty, ich beobachte sie und warte auf meinen Moment, den Befreiungsschlag. Was sie wissen könnte. Was sie womöglich verhindern wollte. Die Kratzer an ihren Armen, und plötzlich fällt mir Evies Hals wieder ein, die verblassten gelben Flecken an ihrem Hals, nachdem sie wieder aufgetaucht war. Die verblassten gelben Flecken, als wäre sie sich mit einem Textmarker über die Kehle gefahren.
    Und wie die beiden einander aus dem Weg gingen, nie im selben Raum waren, kaum mal im selben Haus, seit Evie wieder da ist. Wie zwei Boxer in ihren getrennten Ecken, blutspuckend.
    Geh ja nicht mit, Evie. Wag es nicht. War es das?
    Ich muss mehr wissen. Wenn Evie es mir nicht selbst sagt, hole ich es mir von Dusty.

[Menü]  
    24.
    A n diesem Morgen wache ich auf und spüre die Worte schon im Mund. Die Worte, die ich zu Dusty sagen werde.
    Die Probespiele für die Aufnahme ins Hockeyteam sind um acht, bevor die Augusthitze zu drückend wird.
    Evie spielt nicht mit.
    Evie sagt, sie hat sowieso nie so gern Hockey gespielt. Und dass sie lieber bei Fußball bleibt. Das sagt sie mir mit abgewandtem Blick, ich kann ihr Gesicht nicht sehen.
    Evie geht jetzt zweimal pro Woche mit ihrer Mutter zur Therapie. Danach gehen sie shoppen, essen ein Eis bei Perry’s, gehen ins Kino. An manchen Tagen sehe ich Evie kaum.
    Manchmal kommt es mir vor, als würde sie sich jetzt ständig von mir wegdrehen, damit ich ihr Gesicht gar nicht mehr sehen kann.
    Das Feld ist voller Freshman-Mädchen, sie sehen etwas ängstlich aus, als Dusty und ihre Co-Captains die Seitenlinien abschreiten. Sie sehen aus, als wären sie zehn Meter groß, obwohl Dusty vielleicht gerade mal eins sechzig ist. Sie sind umwerfend. Und allen voran sie, ihr wogendes goldenes Haar, ihre nussbraunen Arme und Beine, ihr Hockeyrock, der beim Auf- und Abmarschieren wippt, ihre Augen hinter einer verspiegelten Sonnenbrille, ihr Gesicht ausdruckslos und unergründlich.
    Wir spielen alles durch, Ballkontrolle, Schiebeschläge, dann Angriffsübungen. Schrubben, schieben, schlagen, schrubben schieben schlagen. Immer weiter und weiter, sie ist etwa dreißig Meter entfernt, beachtet mich kaum, aber ihre Stimme dröhnt uns allen in den Ohren, und dann, ganz am Ende, stürzt sie sich auf mich, und ich wusste, dass das passieren würde, aber man ist ja nie wirklich auf sie vorbereitet.
    Der Ball am Ende meines Schlägers, das Blut rauscht mir in den Ohren, und da ist sie, sie greift sehr hart an, unsere Schläger verkanten sich wie Schwerter, und ich beuge mich tief hinunter, alle Luft weicht aus mir.
    Es ist ein fairer Angriff, er ist fair, aber trotzdem, ich habe so ein dumpfes, aggressives Gefühl, und plötzlich knallt meine Schulter gegen ihren Oberkörper, mein Ellbogen windet sich und stößt ihr mit einem ekligen »Klack« den Kiefer zur Seite.
    Ich werde abgepfiffen und höre Geschrei, aber wir sind schon mittendrin, ich merke, wie ihr Rasenschuh mir durchs Gesicht schrammt, meine Stirn wird feucht, ich verschlucke fast meinen Mundschutz. Aber ich halte sie umklammert, reiße sie herum, ich schiebe meinen Fuß zwischen ihre, sie verliert das Gleichgewicht, fällt hart auf den glitzernden Rasen.
    Ich stehe über ihr, streiche mir die Haare aus der Stirn und starre sie an. Ich blinzele nicht, kein bisschen, wir sind Outlaws, zum Angriff bereit.
    Sie würdigt mich kaum eines Blickes, streckt mir die Hand hin, sie trägt ein Armband am Handgelenk, das war es wohl, womit sie mir die Augenbraue aufgerissen hat.
    Sie greift nach mir, und ich fasse sie am Unterarm und ziehe sie hoch.
    Wir gehen die leeren Flure entlang, weit weg vom Lärm der Umkleiden, dem kindischen Lärm erschöpfter Mädchen.
    Dustys lange, schimmernde Locken fließen ihren Rücken hinunter, sie schlendert zehn Schritte vor mir her wie eine Königin.
    Ich weiß nicht, wohin wir gehen, aber als ich mir die verschwitzten Haare aus dem Gesicht streiche, finde ich dabei auch zwei, drei Strähnen von Dusty, blutbefleckt.
    »Ich bringe dich nicht zur Krankenschwester«, sagt sie, »falls du das denkst.«
    »Nein, denke ich nicht«, sage ich.
    Dann hält sie endlich an, am Ende des Gangs im Westflügel, weit weg von allem und jedem. Sie gibt die Zahlenkombination an ihrem Spindschloss ein, reißt die Tür auf und wirft mir ein Päckchen Mullbinden zu. In dem Moment sehe ich das Rot an ihren Zähnen und erinnere mich an das krachende Geräusch, als mein Ellbogen hochflog und sie am Kinn

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