Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
die Höhe gereckt, und darauf warten, dass sie den dramatischen Schnitt vornimmt.
»Blutsschwestern«, sage ich.
Sie hätte mich vielleicht sogar umarmt, aber dann tut sie es doch nicht. Sie senkt den Kopf, betrachtet die Fliesen, schabt mit den Stollenschuhen darüber.
»An diesem Tag. Wie ich da war. Das war nicht ich, weißt du?«, sagt sie und schüttelt fassungslos den Kopf.
Ich stelle mir Dusty auf dem Hockeyfeld vor, mit biblischem Grimm, wenn ihr Schläger durch die Luft faucht wie ein Schwert.
»Das ist schon hart, sich selbst so zu erleben«, sagt sie noch leiser.
Sie sieht mich an.
»Ja«, sage ich.
Dann zieht etwas über ihr Gesicht, und sie schaut wieder nach unten.
»Lizzie«, sagt sie, ein Flüstern. »Ich weiß, wie es war. Wenn du bei uns zu Hause warst. Die ganze Zeit bei ihm. Ich weiß, wie es war.«
»Dusty, ich …«
Ihre Hände zittern, sie liegen in ihrem Schoß, die Handflächen nach oben.
»Ich weiß, wie es für dich war. Bei ihm. Die vielen Abende. Ich weiß es.«
»Aber ich …«
»Aber das ist jetzt vorbei«, sagt sie, ihre Stimme klingt winzig und verloren. »Das ist vorbei. Hast du mich verstanden?«
Ich antworte nicht.
Sie dreht sich zu mir um und sieht mich an, berührt mich sanft am Arm, sanft, fast eviesanft, aber darunter spüre ich einen stahlharten Griff. Ganz sicher.
»Was zwischen Dad und mir ist«, sagt sie, »so etwas wirst du nie mit ihm haben. Das zwischen uns ist so tief. Das kannst du nie mit ihm haben. Kannst du nicht.«
Ich kann es nicht.
Was habe ich mir denn auch eingebildet?
Das denke ich, und dann wird mir von dem Gedanken auf einmal schlecht. Mir ist richtig übel.
»Er sagt immer zu mir«, sie lächelt, »›Du wirst reihenweise Herzen brechen, Dusty. Aber versprich mir, dass du nie vergisst, dass ich es dir als Erster gesagt habe. Ich habe es vor allen anderen erkannt. Ich war der Erste.‹«
Sie lächelt mich an. »Das Versprechen muss ich doch halten, oder?«
Dann legt sie den Finger an die Lippen, als wäre ihr noch etwas eingefallen.
»Aber ich habe nie … er hat nie … so ist es nicht«, sagt sie. »Was Evie gesagt hat. Das ist nur, weil Evie krank ist. So was Schönes für schmutzig zu halten, oder für falsch. Sie kann nichts dafür.
Das zwischen mir und Dad, Lizzie«, sagt sie, die Fingerspitzen immer noch an ihrem hübschen Mund, »das ist rein. Es ist rein, und ich habe es nie so gesehen. Es war einfach ein Gefühl, schon immer da, mein ganzes Leben.«
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25.
I ch bilde mir nicht ein, das Herz der Frauen zu verstehen.« Das hat Mr. Verver mal gesagt, vor langer Zeit. Er hat es lachend gesagt, mit einer wissenden Kopfbewegung, und ich erinnere mich an Dusty, ihr Gesicht, wie es strahlte, denn Dusty strahlte und schimmerte unter seinen Blicken immer. Ich denke an Dusty und die Jungs, der verstohlene Gedanke, warum sie sich eigentlich nie einem ergibt, es nicht mal versucht. Mr. Verver gibt ihr alles und verlangt nichts dafür, außer allem, allem. Da bleibt für niemand anderen mehr etwas übrig, sie gibt alles ihm, breitet ihre Schönheit sorgsam unter seinem Blick aus. Was für ein Kampf, nachdem Evie abgehauen war, und als sie dann wieder auftauchte, ach, da war dieser Blick nicht mehr auf Dusty gerichtet. Oh, wenn sie nur eine Minute ihres Lebens nicht diesen Blick auf sich spürte …
Es ist Anfang September, kurz vor Labor Day. Durchs Küchenfenster dringen Geräusche herein, wie an tausend anderen Abenden, Dustys strahlendes Zwitschern, Mr. Ververs kehliges Lachen, der Schwung in seiner Stimme, als würde er einem die Hand an den Rücken legen und einen auf der Schaukel anschubsen, und man wirft die Beine in die Luft.
Alles ist wieder da. Es ist wieder da. Aber es ist alles anders, das Lachen ist anders. Ich drücke die Nase an die Fliegentür und schaue rüber, sehe ihre gebräunten Gesichter, die weißen Zähne, die strahlenden Augen, und in der Luft liegt eine ganz eigene Verzückung.
Jetzt sieht alles anders aus, hat Evie mal gesagt. Aber wahrscheinlich ist es gar nicht anders. Ich habe es nur nie so gesehen.
Dusty ist die Entschlossenheit selbst, sie packt zu. Wie sehr sie sich bemüht, und wie sehr auch er sich bemüht! Es hat etwas Verzweifeltes, aber man nimmt es ihnen ab:
So machen wir es, wir machen alles wie früher, ein Märchen, gut aussehender König und goldene Prinzessin, die von hoch oben über ihr Königreich schauen …
Ich denke an Evie oben in ihrem Zimmer und frage mich, ob sie sie
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