Das Ende der Welt
als den Hinweisen zu folgen und weiterzugehen.
Um zehn Uhr am selben Abend hatten wir vier Bars abgeklappert: das International, die Mars Bar, das Blue & Gold und das Holiday. Wir hatten alle Leute befragt, die wir kannten, und ein paar fremde noch dazu. Alle kannten Chloe, aber keiner wusste, wo sie war. Erst im Blanche’s, einem heruntergekommenen Laden an der Avenue A, wurden wir fündig.
Wir, das waren Tracy und ich. Kelly war mit Jonah unterwegs. Seine Band trat heute in Hoboken auf.
»Früher waren Chloe und ich die dicksten Freundinnen«, sagte Elizabeth. Sie ging auf die Hunter High School. Während der Unterhaltung stand sie am Playboy-Flipper. Sie stellte sich erstaunlich geschickt an. »Früher war ich ständig bei ihr zu Hause. Sie war so etwas wie meine allerbeste Freundin. Seit ich dreizehn war und bis vor ungefähr einem Jahr. Also eigentlich bis vor neun Monaten.«
»Was ist passiert?«, fragte ich.
Elizabeth verzog das Gesicht und ließ die Kugel gegen Brüste, Bauch und Oberschenkel des Playboyhäschens knallen.
»Sie ist auf mich losgegangen, das ist passiert«, sagte Elizabeth verbittert, ohne das Spiel aus den Augen zu lassen. »Wir waren bei ihr, und plötzlich macht sie einen Aufstand. Sie hat sich angestellt wie mein verdammter Dad.«
»Ihr habt euch gestritten?«, fragte ich.
Elizabeth schoss die Kugel in den blonden Playmatekopf. Sie spielte immer noch mit dem ersten Vierteldollar. »Nein, nicht mal das. Das Komische war, dass wir uns gut verstanden haben. Als wir Freundinnen wurden, konnte sie schon mal zickig sein, aber wisst ihr, das bin ich auch manchmal. Und später war es dann so, als hätten wir das überwunden. Wir standen uns wirklich nah. Ich war an dem Wochenende bei ihr und ihrer Mom, wir hatten Spaß. Wir haben Filme geguckt, chinesisches Essen bestellt, viel gelacht. Am Sonntagabend nach diesem tollen Wochenende wurde sie plötzlich sauer auf mich. Als ich zum Beispiel abgespült habe, habe ich es nicht richtig gemacht. Der Videorekorder war ausgestöpselt, und ich wollte ihn wieder anschließen, aber auch das war falsch. Und dann … ich weiß nicht mal mehr, womit es angefangen hat. Scheiße!«
Die Silberkugel prallte von einem Bunny ab und fiel zwischen den Klappen durch. Das Spiel war zu Ende.
»Hast du kein Freispiel?«, fragte ich. Wenn man am Flipper Glück hatte, bekam man ein Freispiel.
»Das
war
das Freispiel«, sagte Elizabeth und drehte sich zu uns um. »Der Anlass war lächerlich. Sie wollte sich etwas ausleihen, ein süßes Secondhandkleid, das mit den Punkten.«
Tracy und ich nickten. Wir kannten das Kleid.
»Ich sagte, dass ich es selber tragen wollte. Da ist sie ausgerastet. Sie hat geschrien, ich wäre egoistisch, ich würde mir nichts aus ihr machen und wäre eine Nutte – total verrücktes Zeug.«
»Was hat ihre Mom gesagt?«, fragte Tracy.
»Die war nicht da«, erklärte Elizabeth. »Sie hatte eine Verabredung mit einem Mann. Eigentlich wollten wir alle zusammen ausgehen, aber dann hat dieser Typ angerufen, und sie hat uns sitzenlassen. Er war erst fünfundzwanzig oder so. Jedenfalls habe ich nie wieder mit Chloe geredet. Soll sie sich ins Knie ficken. Sie hat sich nicht mal entschuldigt.«
»Was glaubst du, was mit ihr passiert ist?«, fragte ich.
»Keine Ahnung«, sagte Elizabeth. »Meinetwegen kann sie abkratzen. Ehrlich gesagt wünsche ich es ihr sogar, denn sie ist eine alte Fotze. Seit wann wird sie denn vermisst?«
»Seit ein paar Tagen«, sagte Tracy. »Wir haben allen Grund, von einem Verbrechen auszugehen.«
»Gut«, sagte Elizabeth. »Hoffentlich bleibt sie für immer verschwunden. Ich wünsche mir, dass sie verreckt. Nein, ich wünsche mir, dass sie vergewaltigt wird, mit einem rostigen Kleiderbügel abtreibt und
dann
verreckt.«
»Tja dann«, sagte ich. »Danke für deine Hilfe.«
»Keine Ursache«, sagte Elizabeth. Ihre Miene war immer noch finster. »Ach, übrigens«, rief sie uns hinterher, als wir gehen wollten, »falls ihr Hilfe braucht … ich meine, klar, die blöde Chloe hasse ich, aber euch nicht … Na ja, haltet mich einfach auf dem Laufenden. Sagt mir, wenn ihr den Fall gelöst habt oder so.«
»Was meinst du?«, fragte Tracy, als wir wieder draußen in der Kälte standen.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Aber wir sahen einander an und hatten so eine Art Idee. Wir hatten nur keine Worte dafür.
Wenn man sich selbst genug hasst, hasst man irgendwann jeden, der einen an sich selbst erinnert. Und
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