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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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auf, rauchte noch einen Joint und versuchte zu schlafen. Ich wälzte mich eine Weile hin und her, und als ich endlich einschlief, träumte ich schlecht. Mick saß unter Wasser in einem Glaskasten, so wie Houdini. Das Ganze fing als Varieténummer an, aber dann konnte er sich nicht befreien. Er hatte die Schlüssel nicht; er hatte sie mitgebracht, musste sie aber irgendwann im Laufe der Nummer verloren haben. Die Luft wurde knapp, es gab kein Entkommen. Er hatte keine Schlüssel …
    Ich wachte mit einer beklemmenden Übelkeit auf, mit der Befürchtung, etwas Wichtiges, Unersetzliches verloren zu haben. Es war drei Uhr morgens. Ich konnte nicht wieder einschlafen. Ich stand auf und kochte mir eine Kanne Kamillentee mit Minze und Rosenblättern.
    Ich ging den Fall noch einmal durch. Die Schlüssel. Irgendjemand machte sich so wenig aus Paul, dass er ihn ermordet und seine Gitarren gestohlen hatte, und gleichzeitig machte er sich genug aus Paul, um die Tür hinter sich abzuschließen.
    Vielleicht wusste der Täter nicht, dass Paul tot war, vielleicht wollte er sich nur einen Vorsprung verschaffen, indem er die Haustür abschloss. Vielleicht ahnte der Schütze nicht, wie gut er gezielt hatte. Inzwischen hatte die Polizei sicher alle Spuren ausgewertet und wusste, aus welcher Entfernung geschossen worden war; niemand gab das Ergebnis an mich weiter, aber das kümmerte mich nicht. Ich vertraute der ganzen Sache sowieso nicht.
    Ich schrieb
Schlüssel
auf einen Zettel, den ich auf den Haufen wichtiger Zettel auf dem Küchentresen legte.
    Ich starrte eine Weile darauf, ohne dass mir eine brillante Eingebung gekommen wäre. Nichts. Ich warf einen Blick auf mein Handy. Pauls Schwester Emily hatte schon wieder angerufen. Ich löschte die Nachricht, ohne sie abzuhören.
    Die zweite Nachricht stammte von Kelly. Kelly aus Brooklyn. Ich hatte nichts mehr von ihr gehört, seit ich in New Orleans gewesen war.
    Hey (murmel murmel) ich bin’s (Telefonhörer fällt runter) ruf mich an.
    Ich rief keine der beiden zurück. Ich legte eine Schallplatte von Maria Callas auf, rauchte noch einen Joint und versuchte gar nicht erst zu schlafen. Stattdessen lag ich wach im Bett und dachte an die Ponys, die traurig waren und weinten, weil sie niemals groß werden würden, sondern zu einem unwürdigen Leben in winzigen Körpern verdammt waren, so wie die Kinder auf dem Dachboden, die mit der grausamen Großmutter …
    Ich stand in Point Reyes auf der Weide neben dem kleinen Rappen, dem mit dem glänzenden Fell und den klugen Augen. Es war Nacht, und über ihm leuchtete ein voller, runder Mond. Ich gab ihm einen Zaubertrank, und er wuchs zu einem großen, stattlichen Hengst heran. Wiehernd stellte er sich auf die Hinterbeine.
    »Ich lasse mich von eurer Wissenschaft nicht verwirren«, röhrte er, »eure Lügen können mich nicht davon abhalten, die Wahrheit zu suchen!«

[home]
    20
    Brooklyn
    I n Chloes Zimmer fanden wir den Drehplan zu Ace Apocalypses
Ende der Welt.
Die nächsten Aufnahmen waren für Freitag angesetzt. Ace wollte CC und Vanishing Center in einem Loft in Brooklyn filmen. Mit etwas Glück hätten wir Chloe vorher gefunden, und falls nicht, könnten wir immer noch Ace einen Besuch abstatten.
    Abgesehen davon lieferte die Zimmerdurchsuchung enttäuschend wenige Hinweise. Die Rasierklinge, der Drehplan, ein paar Bücher, die Tracy im Schrank unter der Schmutzwäsche fand.
    Es handelte sich um billige Taschenbücher, wie sie regalweise am Kiosk in der Myrtle Avenue verkauft wurden
. Miss Marys Bestrafung. Geschichte eines Sklavenmädchens. Böse Mädchen bekommen, was sie verdienen.
    Damit kannten wir uns natürlich aus. Männer begehrten alles Mögliche, und ehe man sich’s versah, bürdeten sie einem ihre Wünsche auf. Man bekam eine gigantische Sauerei aufgehalst, die man nie im Leben kontrollieren oder in Schach halten konnte. Wenn man nicht aufpasste, ging man dabei unter. Außerdem wusste ich, dass das Begehren sich nicht geradlinig entwickelte, dass es umschlagen und sich bei lebendigem Leib selbst verzehren konnte. Es reichte den Männern nicht aus, nur einen Teil von uns zu bekommen; sie wollten alles, denn sie waren darauf angewiesen, begehrt und umsorgt zu werden, zu quälen oder sich quälen zu lassen.
    Aber Chloe? Chloe sollte
das
gewollt haben?
    Wieder einmal hatte ich das Gefühl, im Wald zu stehen. Kein Schild zeigte mir den Weg. Kein Ausweg war in Sicht, und zum Umkehren war es zu spät. Wir konnten nichts weiter tun,

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