Das Ende der Welt
irgendwann wird man, wenn man dranbleibt, alle hassen, die nicht begreifen wollen, wie schrecklich man ist. Das wussten wir nur zu gut.
Wir hatten etwas getrunken, aber der Effekt war längst verflogen. Nach dem Gespräch mit Elizabeth hatten wir keine Lust mehr auf Spaß, oder wie auch immer man unseren Zeitvertreib nennen wollte. Wir liefen schweigend zur U-Bahn und traten die lange Heimfahrt an.
Ich fühlte mich genau so wie immer. So als könnte ich jederzeit wegfliegen oder zerbersten. Nichts würde von mir übrig bleiben. Man würde nicht mehr sagen können, ob es mich wirklich gegeben hatte. Ob ich gestorben war. Vielleicht war ich längst gestorben, und die anderen hatten es nicht bemerkt, oder sie hatten vergessen, es mir zu sagen.
In der U-Bahn dösten wir. Mein Kopf lag auf Tracys Schulter.
»Trace«, sagte ich.
»Ja?«
»Würdest du es mir sagen, wenn ich tot wäre?«
Sie legte eine Hand auf meinen Kopf und strich mir übers Haar.
»Auf jeden Fall«, sagte sie.
»Würdest du mich vermissen?«, fragte ich.
»Auf jeden Fall«, sagte sie. »Für den Rest meines Lebens. Ohne dich würde ich sterben, du blöde Kuh. Ich würde sterben.«
[home]
21
San Francisco
P auls Haus gehörte zu einer hübschen Häuserzeile aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, kein viktorianisches Gebäude, aber in einem ähnlichen Stil gebaut. Ich hatte Claude losgeschickt, um Erkundigungen über das Haus einzuholen; was in seinem Bericht fehlte, erzählte mir die vernarbte Außenfassade. Im Laufe der Jahre war das Haus aufgerissen und immer wieder umgebaut worden. Während der Depression wurde aus dem Einfamilien- ein Mehrfamilienhaus, dessen Zimmer in den siebziger und achtziger Jahren schließlich einzeln vermietet wurden. Vermutlich hätte man damals in jedem Zimmer eine Kochplatte und einen einsamen, deprimierten Mann vorgefunden. Als in den neunziger Jahren die Gentrifizierung das Viertel erfasste, wurden die Wohnungen wieder größer. Zuletzt wurde das Haus von einem schwulen Pärchen erworben und in den ursprünglichen Einfamilienzustand zurückversetzt. Kurz darauf kaufte Paul das Haus, richtete im Keller einen Proberaum für sich und im Salon einen für Lydia ein und nutzte den Rest als Wohnraum.
Ein paar Tage nach dem Telefonat mit Lydia rutschte ein weißer Briefumschlag mit einem Schlüsselbund durch meinen Briefschlitz. Es handelte sich weder um Pauls noch um Lydias Bund, sondern um einen neuen Satz vom Schlosser. Noch am selben Abend fuhr ich nach Mission und betrat das Haus, in dem Paul gestorben war.
Die Polizisten waren gekommen und gegangen. Ich hatte mich während der laufenden Ermittlungen ein paarmal mit reingeschlichen, bis man mich entdeckt und verscheucht hatte. Im Prinzip gehörte das Haus Lydia, und ich durfte mich dort aufhalten, solange sie es mir erlaubte; aber die Polizisten wollten mich aus dem Weg haben. Ich hatte mich nicht widersetzt, weil ich mich nicht selbst ins Abseits schießen wollte für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie doch noch auf eine Spur stießen. Nun, da die Untersuchungen ausliefen, hatte ich das Haus für mich allein. Vermutlich waren die Ermittler noch mit der Auswertung beschäftigt. Mit Sicherheit wissen konnte ich es nicht, schließlich redeten sie nicht mit mir.
An der Haustür fiel mir der gute Zustand des Schlosses auf. Falls es aufgebrochen worden war, hatte der Einbrecher ganze Arbeit geleistet und keine Kratzer oder Dellen hinterlassen. Der Schlüssel, den Lydia mir geschickt hatte, passte fast perfekt. Er hakte ein bisschen, so wie alle neuen Schlüssel. Die Tür war intakt, und keines der Fenster an der Vorderseite des Hauses schien in letzter Zeit ersetzt oder repariert worden zu sein.
Wie war der Killer ins Haus gekommen?
Drinnen war es still und dunkel. Die Cops hatten die Möbel abgedeckt, und offenbar waren Lydias Freunde, die sie bei den Formalitäten und in Geldfragen berieten, ein und aus gegangen, um ihre Sachen zu holen. Trotzdem fühlten die Räume sich friedlich und ungestört an. Nach Pauls Tod hatten die Gegenstände ihren Platz gewechselt, aber die Atmosphäre war dieselbe geblieben.
Von einer Art Eingangshalle ging zu einer Seite der Salon, zur anderen das Wohnzimmer ab. Das Zwielicht warf lange Schatten auf den Fußboden. Ich knipste das Licht an und merkte, dass ich auf einem Berg von Post stand. Ich sammelte alle Briefe zusammen und legte sie zur restlichen Post auf das Tischchen neben der Eingangstür.
Fast alles war so wie an
Weitere Kostenlose Bücher