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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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Nacht fuhr ich auf die Bay Bridge. Ich war unzählige Male darüber gefahren, aber noch nie
dorthin.
Ungefähr in der Mitte hielt ich an und schaltete den Warnblinker ein. Ich warf einen Blick auf mein Handy: kein Empfang. Offenbar hatte Paul Glück gehabt, und eine Streife oder ein guter Samariter war vorbeigekommen. Schlechte Samariter gab es schließlich nicht. Aber was wusste ich schon.
    Als ich wieder im Auto saß, schnupfte ich noch eine ordentliche Portion, um das starke, dunkle Biest zu betäuben, das schreiend in meinem Brustkorb hockte.

[home]
    18
    F ür gewöhnlich traf ich mich jeden Sonntagabend zum Essen mit Claude, und dann besprachen wir, was wir in der vergangenen Woche getan und nicht getan hatten und in der kommenden tun und nicht tun würden. Ich hatte kein Büro – das würde Kundschaft unnötig anziehen –, und so arbeitete Claude mal in seinem Apartment in Berkeley, mal bei mir zu Hause. An jenem Sonntag, dem dreiundvierzigsten Tag nach Pauls Tod, besuchten wir das Restaurant der Erleuchteten Meisterin. Claude hatte unsere Operation Minipferd fest im Griff, wofür er von mir eine Eins plus bekam. Im Fall des Kali Yuga gab es keine Neuigkeiten. Keine Hinweise, keine Spuren, keine Verdächtigen. An den Nebentischen saßen chinesische Großfamilien beim Abendessen. Draußen war es nasskalt, und alle Gäste hatten entweder heißen Tee oder heiße Suppe bestellt. An manchen Tagen in San Francisco hatte man das Gefühl, die Kälte krieche einem unter die Haut. Man nahm sie mit, wohin man auch ging, und würde sie nie mehr loskriegen.
    Am selben Abend telefonierte ich mit Lydia. Sie war in Pauls Haus am Bohemian Highway.
    Sie schlug sich tapfer. Sie hatte viele Freunde, die ihr durch den Alltag halfen. Sie erzählte mir, dass kaum einer sie auf Paul anspreche. Darauf, dass er tot war und nie mehr zurückkommen würde. Stattdessen sagten die Leute Sätze wie »Er ist jetzt angekommen« oder »Er ist bei den Engeln« oder »Er leidet nicht mehr«. Anscheinend glaubten die Leute, Lydia wisse noch nicht von seinem Tod.
    »So als hätten diese Idioten immer noch nicht kapiert, dass er nicht mehr zurückkommt«, sagte sie. »Im Ernst, die tun so, als wüsste ich nicht, wie schrecklich es ist. Als wäre es das Beste, mir nichts zu sagen.«
    Sie klang verbittert. Die meisten Menschen weichen dem Tod aus, sie ziehen sich von Witwen und verwaisten Eltern zurück, als wäre der Verlust eines geliebten Menschen ansteckend. Falls der Tod ansteckend war, hatte ich mich längst infiziert.
    »Ich habe einen Fall ganz in deiner Nähe übernommen«, sagte ich, »in Point Reyes. Die Miniaturpferde.«
    »Pferde?«, fragte Lydia. »Haben sie was verbrochen?«
    »Vielleicht«, sagte ich. Eines der Kleinen hatte tatsächlich schuldbewusst ausgesehen, ein weibliches Mini-Palomino mit mörderischem Blick. »Wie wäre es, wenn wir einen Kaffee trinken gehen, wenn ich das nächste Mal in der Nähe bin?«
    »Klar«, sagte sie, »ruf an.«
    »Ach ja«, sagte ich, »da ist noch etwas. Die Schlüssel.«
    Pauls Hausschlüssel waren bislang nicht aufgetaucht. Hatte der Mörder vor, das Haus noch einmal aufzusuchen? Zu stehlen, was es sonst noch zu stehlen gab?
    »Könnte ich einen Satz haben?«, fragte ich. »Ich wollte noch einmal etwas überprüfen.«
    »Klar«, sagte sie, »ich schicke sie dir. Also dann, lass es mich wissen, wenn du in der Nähe bist. Dann trinken wir einen Kaffee.«
    Sie sagte das, als wäre auch das nur ein leeres Versprechen, eine weitere enttäuschende Kröte, die sie zu schlucken hatte.

[home]
    19
    S päter an dem Abend probierte ich es noch einmal bei Mick. Ich rief ihn ein- oder zweimal pro Woche an. Er ging nie ran. Immer nur die Mailbox. Ich versuchte es bei Andray. Auch er meldete sich nicht.
    Offenbar wollten nur mehr wenige Menschen mit mir kommunizieren. Ich überlegte, wer meine Anrufe sonst noch ignorierte: Verstorbene, Verschollene und Leute, die mich hassten oder einfach nur nicht leiden konnten.
    Es war ja nicht so, dass zwischen uns etwas vorgefallen wäre. Ich wusste, Mick war nicht böse auf mich. Er war ganz einfach nie mit mir warmgeworden, von Anfang an nicht. Ich wusste, dass er mich auf eine gewisse, ganz eigene Art liebte – aber das war nicht dasselbe wie mögen. Wenn ich fast gestorben wäre, hätte er mich angerufen, und ich wäre nicht rangegangen. Was unsere Mitmenschen betraf, taten wir uns beide nicht sonderlich hervor, waren genau genommen ziemliche Nieten.
    Ich legte

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