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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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dreihundert Dollar wert, die verschmähte Teisco hingegen fast tausend. Die Maccaferri, die nach Plastikschrott aussah, kostete mindestens sechshundert Dollar, und die Gretsch – schön, aber unbekannt – fast zweitausend.
    Vielleicht hatte der Dieb auf gut Glück zugegriffen. Vielleicht hielt er sich für einen Kenner, ohne tatsächlich Ahnung zu haben. In dem Fall stünde die Hälfte aller Männer und ein Viertel der Frauen in San Francisco auf meiner Verdächtigenliste.
    Vielleicht hatte der Dieb etwas gewusst, das ich nicht wusste.
    Das war noch kein Hinweis, aber es war immerhin etwas.
    Im ersten Stock gab es zwei Zimmer und ein Bad. Ich ging ins Bad und durchwühlte den Medikamentenschrank. In Pauls Nachlass befand sich ein Fläschchen Vicodin mit zwölf Tabletten. Ich steckte die Flasche in meine Handtasche.
    Ein Zimmer hatte das Paar als Schlafzimmer genutzt, im anderen waren Schuhe, Klamotten und gelegentlich auch Gäste untergebracht. Lydia und Paul legten großen Wert auf Mode und besaßen tonnenweise Klamotten. Auch hier oben waren überall CDs, Bücher, Plektren, Schlagbretter und Tonabnehmer verstreut. Auf der Kommode im Schlafzimmer standen drei Kaffeetassen und zwei Bücher. Eine der Tassen war ein altmodisches Souvenir aus Tahoe; darin fand ich einen Zwanzigdollarschein, zwei Dollarscheine und Kleingeld. In der zweiten Tasse, einem Andenken aus Las Vegas, lagen eine Büroklammer, zwei Plektren, eine billige Gebetskette aus Sandelholz und die Überreste eines Joints.
    An dieser Kommode leerte Paul seine Taschen. Fast jeder Mann hatte in seiner Wohnung so einen Ort. Alles hier gehörte zu Paul, hatte ihm gehört, war von ihm benutzt worden.
    Ich verdrängte den Gedanken sofort wieder und warf einen Blick in die letzte Tasse. Sie kam aus Santa Rosa, vom Ort der Wunder. Darin fand sich eine kleine Visitenkartensammlung. Ich nahm die Karten in Augenschein. Ein vietnamesisches Restaurant in Alameda. Ein Gitarrenladen in San Rafael. Eine zu einem Zehntel abgestempelte Stempelkarte für einen Gratis-Smoothie in Oakland.
    Nichts sprang mich an. Nichts sprach zu mir. Ich steckte die Visitenkarten ein. Das Bett war nicht gemacht, die Laken zerwühlt und faltig. Ich stellte mir Paul vor, wie er diagonal darauf ausgestreckt lag und schlief, während die Sonne an seinem letzten Morgen den Raum flutete und er noch nicht ahnte, was der Abend bringen würde.
    Ich verließ das Schlafzimmer und ging in die Küche hinunter. Auf einmal erfüllte mich der Gedanke, im Haus eines Toten zu sein, mit Grauen, und ich fing an zu rennen. Ich stürzte ans Küchenfenster und starrte hinaus, um mich zu vergewissern, dass es da draußen noch eine ganze Welt gab. Ich hatte das Kokaintütchen dabei. Ich benutzte ein Buttermesser, um die letzten Reste herauszukratzen, und dann steckte ich einen angefeuchteten Finger hinein und rieb ihn mir übers Zahnfleisch. Bevor ich weitermachte, hielt ich kurz inne und wartete, bis meine Körperchemie wieder im Gleichgewicht war.
    Ich ging ins Wohnzimmer. Hier hatte man die Leiche gefunden. Jemand hatte den Blutfleck auf dem Parkett mit einem Teppich zugedeckt. Ich riss ihn beiseite.
    Ich setzte mich hin und betrachtete Pauls Blut.
    Nein, ich muss mich korrigieren. Ich betrachtete das Blut des Opfers. Paul war weg, es gab keinen Paul, hatte vielleicht nie einen gegeben. Nur das Opfer, ein Opfer, die Rolle, die ihm vorherbestimmt gewesen war. Vermutlich hatte er sich sein Leben lang für etwas anderes gehalten, für etwas viel Interessanteres. Für einen Freund, Ehemann, Geliebten, Musiker. Aber letztendlich war er nur ein Opfer.
    Ich wartete, bis es in meinem Kopf aufklarte, und ich betrachtete das Blut, das vormals rot und lebendig gewesen war und nun tot und braun.
    Jede polizeiliche Ermittlung stößt unweigerlich an ihre Grenzen. Selbst wenn die Detectives es gut meinen, selbst wenn sie Genies sind, haben sie fünfzig Fälle oder mehr auf dem Schreibtisch. Sie haben nur begrenzt Zeit und dazu noch Frauen und Männer und Kinder und Hypotheken am Hals. Deswegen wendet man sich lieber an eine Privatdetektivin, die, wenn sie schlau ist, nichts dergleichen am Hals hat.
    Ich wusste, dass die Polizisten unter dem Sofa und im Schreibtisch, in allen Ecken und in der Schmutzwäsche nachgesehen hatten. Aber es gab noch genug zu untersuchen.
    Zuerst ging ich in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Alles war an seinem Platz: Sojamilch, verschimmeltes Gemüse, ein halber Schokoriegel. Alles war so,

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