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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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sollen? Man bringt einen Mann um, bestiehlt ihn und schleicht sich davon. Ist man in Sorge, andere Diebe könnten noch mehr klauen? Oder die Ordnung am Tatort zerstören?
    Irgendetwas ging mir durch den Kopf. Es drang fast bis in mein Bewusstsein vor und sank dann wieder in die Tiefe, verschwand in einem Strudel aus Einkaufslisten und halb gelesenen Büchern und Missverständnissen, auf dem traurigen, kleinen Friedhof, auf den sich Gedanken zum Sterben verkriechen.
    Ich griff in meine Tasche und zog das leere Kokstütchen heraus. Ich leckte es aus.
    Man stelle sich vor: Der Nachbar hört den Schuss, verplempert ein paar Minuten, ruft die Polizei, wirft sich einen Bademantel über, geht zu Pauls Haus. Weil die Haustür abgeschlossen ist, wartet er auf die Polizei. Das alles dauert zwischen drei und sieben Minuten. Jede Menge Zeit für den Täter, um die Haustür abzuschließen und zu verschwinden.
    Was stieß mir so unangenehm auf?
    Ich holte mein Handy heraus und rief Officer Ramirez an.
    »Hi«, sagte ich, »hier ist Claire DeWitt.«
    »Im Ernst?«, fragte er. »Heute?«
    »Nein«, sagte ich, »ich mache nur Spaß. In der Leitung wartet jemand, den Sie mögen. Aber da ich Sie schon einmal am Apparat habe … Paul Casablancas. Sind Sie absolut sicher, dass die Haustür abgeschlossen war?«
    »Ja«, sagte er, »soweit ich weiß, war ich der Erste am Tatort. Und sie war abgeschlossen.«
    »Hätte der Mörder noch im Haus sein können? Nicht, dass es so war. Aber wäre es möglich gewesen, rein theoretisch?«
    Ramirez dachte nach. »Nein«, antwortete er. »Nun ja, doch. Möglich? Möglich ist alles. Die Vordertür kann er nicht genommen haben, denn da hat ein Kollege gewartet, während ich das Haus durchsucht habe, genau aus diesem Grund. Aber der Täter hätte natürlich durch ein Fenster in den Garten entkommen können. Von dort aus hätte er in ein Nachbargebäude einsteigen können, um auf die Straße zu entkommen, alles unter den Augen von einem Dutzend Polizisten – klar, möglich wäre es. Es wäre vorstellbar. Wir haben die Gärten abgesucht, aber wenn er sich beeilt hat und schneller war … ja. Es wäre möglich. Aber verdammt extrem unwahrscheinlich.«
    »Extrem unwahrscheinlich«, wiederholte ich.
    »Weniger als unwahrscheinlich«, sagte Ramirez, »aber das genaue Wort dafür kenne ich nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich. »Ich werde es nachschlagen.«
    »Auf jeden Fall glaube ich nicht daran«, sagte er. »Wir hätten den Täter gesehen oder gehört oder seine Anwesenheit gefühlt.«
    »Könnte er sich im Haus versteckt haben?«, fragte ich. »Es ist ja ziemlich groß.«
    »Könnte er?«, sagte Ramirez. »Klar. Er könnte sich zum Beispiel hinter einer Geheimtür in der Wand versteckt haben. Vielleicht wohnt er schon seit Jahren da drin! Haben die Kollegen das Haus ordnungsgemäß abgesucht? Ja. Darauf können Sie wetten. Ich habe es selbst gesehen. Ich glaube nicht, dass er noch da war.«
    Er hielt inne und trank einen Schluck. Vermutlich Kaffee.
    »Oder sie«, sagte er.
    »Oder sie«, wiederholte ich.
    »Ja«, sagte er, »das sagte ich eben.«
    »Genau.«
    Ramirez sagte »okay« und »auf Wiederhören« in einem Tonfall, der mehr nach
leck mich
klang, und dann legte er auf.

[home]
    22
    I ch fuhr in meine Wohnung zurück, duschte, zog mich an und las die neueste Ausgabe des
Detective’s Quarterly.
Auf dem Cover war Alex Whittier abgebildet, Kriminologieprofessor an der Northwestern University. Sein letzter Vortrag war als Transkript abgedruckt, er hieß »Wissenschaftliche Ermittlungsmethoden« oder so ähnlich.
    Ein paar Stunden später setzte ich mich wieder ins Auto und fuhr quer durch die Stadt bis Japantown, um mich im Einkaufszentrum bei Fukyu zu einem frühen Abendessen mit Bret zu treffen, einem alten Freund. Er hatte schon für uns beide bestellt. Er wusste, was ich mochte. Zu wissen, was Frauen mögen, war sein Hobby. Bret war Mitte fünfzig und der reichste Mensch, den ich kannte. Ich brauchte kein Geld, aber ich wusste, dass ich ihn jederzeit fragen konnte, sollte ich einmal welches brauchen. Das zählte; das konnte man nicht über jeden Reichen sagen. Bret war reich auf die Welt gekommen, und er liebte Geld, deswegen wurde er immer reicher.
    Nach dem Essen spazierten wir durch das Einkaufszentrum. Bret war in Italien zur Welt gekommen und hatte schon überall gelebt. Er betrat einen kleinen Süßwarenladen und sprach die Inhaberin auf Japanisch an. Er kam mit einem kleinen Paket und

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