Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
fressen sie weiter. [Ref 50]
Dieses Verhalten verändert sich, wenn die Opioidschaltkreise von schmackhaften Speisen stimuliert werden, wie Josh Wooley, Neurowissenschaftler an der Universität California in San Francisco, anhand von Supreme Mini-Treats TM –das sind Pellets mit Schokoladen- und Bananengeschmack, die hauptsächlich aus Zucker und Fett bestehen–nachgewiesen hat. [Ref 51]
Seine Versuchstiere durften zuerst eine Stunde lang so viele Schokoladenpellets fressen, wie sie wollten. Anschließend hatten sie 90 Minuten lang freien Zugang zu Pellets mit Bananen- und Schokoladengeschmack. Dabei beobachtete Wooley, dass die Tiere nun deutlich mehr Banane fraßen. Das anfängliche Schokoladenangebot hatte das Interesse an diesem Geschmack offenbar
gesenkt, aber nicht völlig eliminiert, auch wenn sie noch neugierig genug auf die neue Geschmacksrichtung Banane waren. Umgekehrt galt dasselbe: Wenn die Tiere erst Banane bekamen, fraßen sie später bei freier Auswahl mehr Schokolade.
In der nächsten Phase hingegen geschah etwas ganz anderes, denn nun spritzte Wooley seinen Tieren Opioide ins Gehirn, nachdem er ihnen entweder Schokoladen- oder Bananenpellets angeboten hatte. Die Stimulierung des Opioidschaltkreises war stärker als die natürliche Neigung zu geschmacksspezifischer Sättigung. Diesmal waren die Tiere das alte Futter nicht leid.
Man kann die Rolle des Opioidschaltkreises auch hervorheben, indem man die Opioidproduktion unterdrückt und die Ergebnisse abwartet. Für eine solche Versuchsreihe arbeitet man mit Opioidgegenspielern wie Naltrexon und Naloxon, die beim Menschen gern zur Behandlung von Morphium- oder Heroinabhängigkeit eingesetzt werden, weil sie das Hochgefühl zunichtemachen, das diese Substanzen Süchtigen sonst vermitteln.
Die Wissenschaft verwendet Opioidantagonisten auch, um herauszufinden, wie die körpereigenen Opioide unser Essverhalten beeinflussen. [Ref 52] Zum Beispiel stellte Josh Wooley fest, dass Tiere weniger Schokolade fraßen, nachdem man ihnen Naltrexon gespritzt hatte. Dies liegt vermutlich daran, dass durch die Blockierung der Opioidsignale der Belohnungscharakter des Fressens ausblieb.
Andere Forscher haben den Nachweis erbracht, dass Opioidantagonisten die Dauer einer Mahlzeit abkürzen. In einem Versuch fraßen die Tiere, die zuckerreich ernährt wurden, anfangs länger als die, deren Futter auf Maisstärke basierte. So weit, so gut. Doch nach der Verabreichung von Naloxon trat eine Veränderung ein. Jetzt fraßen beide Gruppen weniger, aber bei den Ratten,
die zuvor viel Zucker erhalten hatten, war der Effekt dramatischer. Die Störung des Opioidschaltkreises hatte bei der Lieblingsnahrung der Tiere die stärkste Wirkung.
Trotz seines großen Einflusses auf unser Verhalten ist der Quell unseres Wohlbehagens im Gehirn ziemlich klein. Die Wissenschaft hat bereits Karten für das Gewebe der Opioidschaltkreise erstellt, die das Genusszentrum bilden, und kann Abbildungen unserer Reaktion auf den Geschmack von Zucker, Fett und Salz machen.
Eine kleine Region liegt im Zentrum all dieser Freuden. Kent Berridge von der Universität Michigan nennt diese Stelle den »hedonistischen Hot Spot«. [Ref 53] Seiner Meinung nach bringt uns die Stimulierung dieses gerade einmal stecknadelkopfgroßen Punkts im Nucleus accumbens dazu, etwas zu mögen–es richtig zu mögen. Diese Stelle »scheint die Lust an einem Geschmack tatsächlich zu vergrößern, sie kausal zu erhöhen«, erklärt Berridge. »Der Hot Spot verleiht der Geschmacksempfindung den zusätzlichen Glanz wahren Genusses.«
8 | Unsere Verdrahtung fordert den leckersten Reiz
Essen und der Wunsch zu essen sind als zwei unterschiedliche Aktivitäten anzusehen, an denen unterschiedliche Prozesse im Gehirn beteiligt sind. Wenn man dies auseinanderhält, ist die Wirkung eines anderen Botenstoffs im Gehirn, des Dopamins , leichter zu verstehen.
Während Opioide Nahrungsmittel zum Genuss erklären und das Weiteressen fördern, bestärkt Dopamin unser Verhalten und treibt uns zur Nahrung hin. Dopamin erhöht die Vorfreude, damit wir uns auf eine komplexe Abfolge von Verhaltensweisen zum Suchen und Erlangen von etwas einlassen, über die wir anschließend erneut in den Genuss einer Leibspeise kommen, an die wir uns erinnern. [Ref 54] Die Antriebskraft des Dopamins beruht auf einer Fähigkeit, die unser Überleben sichern soll. In der Fachsprache bezeichnet man diese Fähigkeit als »Aufmerksamkeitsbias«. [Ref 55]
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