Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
etwas so stark wünschen, dass wir uns dafür anstrengen, und dass wir uns kurzfristig besser fühlen, sobald wir es bekommen. Die Motivation zum Handeln erwächst aus der Erwartung einer Belohnung. [Ref 20]
Die Motivationsschaltkreise im Gehirn haben sich über Jahrtausende entwickelt, um uns am Leben zu erhalten. Sobald sie durch Umweltreize aktiviert werden, erzeugen sie eine emotionale Reaktion, die unser Verhalten antreibt. Mit anderen Worten: Wir erhalten eine Information und handeln entsprechend. Wenn die Botschaft lautet »Das ist gut«, trauen wir uns näher ran, um davon zu profitieren; lautet die Botschaft »Das ist gefährlich«, ziehen wir uns eher zurück.
Durch Tierversuche ist belegt, dass sich die Belohnungszentren im Gehirn auch künstlich durch Elektroden stimulieren lassen. Eine Studie ergab, dass Tiere bei einer Stimulation im Bereich des seitlichen Hypothalamus kräftig weiterfraßen, obwohl sie normalerweise längst aufgehört hätten.
Eine andere Studie demonstriert die Macht des Belohnungssystems noch deutlicher. In diesem Fall wurde der Boden des Versuchsraums unter Strom gesetzt, so dass die Tiere einen unangenehmen Schlag bekommen würden. Am anderen Ende des Raumes gab es Nahrung. Die Tiere mussten also über den elektrifizierten Boden laufen, um ihr Futter zu erreichen. Der Elektroschock war stark genug, um ein Tier, das eine Weile nichts gefressen hatte, davon abzuhalten, für Futter über den Boden zu laufen. Unter normalen Umständen war der Hunger angesichts der absehbaren Folgen also kein ausreichender Handlungsanreiz. Bei Stimulierung der Belohnungszentren ergab sich jedoch genau das Gegenteil: Jetzt liefen selbst Tiere, die gar nicht hungrig waren, über den elektrifizierten Boden, um ihre Belohnung zu ergattern. [Ref 21]
Jenseits von Laborbedingungen gibt es natürlich andere Reize. Und daraus erwachsen für die Wissenschaft provozierende Fragen. Können auch diese Reize die Belohnungszentren im Gehirn ansprechen? Ist es möglich, dass bestimmte Speisen uns so stark reizen, dass wir weiteressen–und einfach nicht mehr aufhören können?
3 | Zucker, Fett und Salz fordern: Immer mehr!
Um zu begreifen, wie Essen mehr Essen fördert–und warum die Homöostase ständig unter Beschuss steht–, müssen wir erst einmal das Konzept von »Schmackhaftigkeit« aus wissenschaftlicher Sicht verstehen. Im normalen Sprachgebrauch bedeutet »schmackhaft«, dass etwas angenehm schmeckt. In der Wissenschaft hingegen bezieht sich dieser Begriff in erster Linie auf die Fähigkeit eines Nahrungsmittels, den Appetit anzuregen und uns zum Weiteressen zu animieren. Schmackhaftigkeit hat natürlich mit dem Geschmack zu tun, aber insbesondere auch mit der Motivation, sich diesen Geschmack zu sichern. Sie ist der Grund, weshalb wir mehr wollen.
Schmackhaftigkeit beruht weitgehend darauf, wie umfassend unsere Sinne angesprochen werden. Besonders schmackhafte Speisen enthalten in der Regel eine gewisse Menge an Zucker, Fett und Salz. Alle Eigenschaften schmackhafter Speisen, die unsere Sinne ansprechen–die angenehm kalte Cremigkeit von Vanilleeis, der Duft von frisch gebackenem Schokoladenkuchen, die knusprige Haut eines Hähnchenflügels mit einem Klecks Honigsenfsauce –, regen den Appetit an. Nicht der Hunger, sondern diese Stimulierung–oder die Erwartung dieser Stimulierung–veranlasst uns dazu, weiter Nahrung in den Mund zu schieben, obwohl unser Kalorienbedarf längst gedeckt ist. »Schmackhaftes Essen macht Appetit«, erklärt Peter Rogers, Biopsychologe an der englischen Universität Bristol. »Es ist ein Anreiz zu essen.« [Ref 22]
Unsere Vorliebe für Süßes überrascht wenig. Neugeborene, die
kleine Tropfen Zuckerlösung erhalten, verziehen erfreut das Gesicht. Je süßer die Lösung, desto besser wird sie angenommen.
Adam Drewnowski von der Universität Washington in Seattle untersucht seit 30 Jahren menschliche Vorlieben für bestimmte Geschmäcker und Lebensmittel sowie das entsprechende Auswahlverhalten. [Ref 23] Wie viele seiner Kollegen konzentrierte er sich anfänglich auf Zucker, war aber bald davon überzeugt, dass Zucker nicht der einzige Grund ist, warum wir so stark auf Süßes reagieren. In diesem Fall würden nämlich mehr Leute einfach eine Packung Zucker aufreißen und in sich hineinlöffeln.
Erst in den 80er-Jahren begann man das Fett genauer unter die Lupe zu nehmen. »Man achtete nur auf die Belohungsreaktion auf Zucker, als wäre Zucker der einzige
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