Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)
Hiresh wurde mit einem Mal schwindlig. Es war möglich, dass seinetwegen Menschen starben. Menschen, die gedacht hatten, kurz ihre Wohnung zu verlassen, um irgendwo eine Extraration Nahrung für ihre Familien zu schnorren. Er musste es irgendwie schaffen, Chakrapani aufzuhalten, auch wenn es einfach nur bedeutete, sich umzudrehen und sich dem Monster zu stellen.
Nicht weit entfernt gabelte sich der Korridor. Auf der einen Seite ging es zur Shuttle-Station, von der aus die Wagen mit enormer Geschwindigkeit durch die Tunnel geschossen wurden, und auf der anderen zum großen Präriepark im angrenzenden Sektor. Die weite Fläche war von mehreren zehntausend Flüchtlingen aus dem Obergeschoss kolonisiert worden. Trotzdem würde es dort niemals so voll sein wie in diesem Korridor zu dieser Tageszeit. Dort gab es genug Platz, sodass sich die Massenpanik gefahrlos verlaufen würde. Andererseits wäre dann der Weg frei, wodurch Chakrapani seine Schnelligkeit ausspielen konnte und die Jagd schon bald zu einem schlimmen Ende bringen würde. Hiresh spürte, wie ihm bei diesem Gedanken die Knie weich wurden. Jetzt hatte er es fast geschafft – der Elitestatus war in greifbare Nähe gerückt –, nur um kurz darauf zu einer blutigen Masse zerquetscht zu werden.
»Hiresh!«, übertönte Chakrapani das Getöse. »Hiresh!«
Hiresh gab Tarini ein Zeichen, dass er den rechten Korridor nehmen wollte.
Nein! Im Park wirst du ihm niemals entkommen!
Aber sie blieb bei ihm. Ein Menschenauflauf verstopfte eine Seite des Korridors, der vor ihm lag. Die meisten Leute trugen die blauen Gewänder der Frei-von-Neid-Sekte, einer berüchtigten Zusammenrottung von Hitzköpfen, die ständig miteinander im Streit lagen. Sie drängten sich um zwei Personen, deren Rufe im Getöse kaum zu verstehen waren. Religiöser Abschaum , dachte er, aber er lief weiter auf sie zu, ohne langsamer zu werden.
Jeder Erwachsene, der vor der Krise geboren war, hätte beim Anblick der Menge, die sich um die Streithähne scharte, gedacht, dass dort ein Durchkommen unmöglich war. Um keinen Preis des Universums. Aber sie wussten einfach nicht, wie man sich geschickt hindurchwinden konnte. Das war ihr Problem. Sie sahen nicht, wie man ein Bein dorthin drücken oder einen Ellbogen anschubsen oder in einen Hintern kneifen musste, damit die Leute einem Platz machten. Es ging einfach nur darum, die Schwachpunkte zu finden. Hiresh musste gar nicht darüber nachdenken. Das Gewirr aus dürren Gliedmaßen vor ihm hätte genauso gut eine breite Straße sein können.
»Dummes Kind!«, sagte jemand. Nach dem Gesetz war er natürlich erwachsen, aber er konnte nichts dagegen tun, dass seine gesamte Generation so unterentwickelt wirkte. An einem anderen Tag hätte er sich die Zeit genommen, dem Kerl gegen die Beine zu treten. Doch nun zwängte er sich durch die Gruppe, bis er den Korridor verließ und unter dem schwindelerregenden künstlichen Himmel des Prärieparks weiterlief.
Dieses Areal war viel heller und größer – sieben Quadratkilometer, die von Apartmentwänden und offenen Durchgängen zu Tunneln und Straßen umgeben waren. Das Dach hatte diesen Bereich so gestaltet, dass die Zugänge wie Lücken zwischen den projizierten Bäumen aussahen.
Niemand hatte hier leben dürfen, als er ein kleiner Junge gewesen war. Damals war es eine einzige Grasfläche gewesen, die sich scheinbar so weit erstreckte, wie das Auge reichte. Er hatte geweint, als seine Mutter das erste Mal mit ihm hierhergekommen war. Kinder hatten oft Schwierigkeiten mit offenen Räumen. Sie hatte ihn abgelenkt, indem sie mit ihm über einen Hügel zu einem kleinen Teich spaziert war, wo es Tiere gab, die man Enten nannte. Sie warteten darauf, gefüttert zu werden, während sie sich stritten und gegenseitig über die ruhige Wasseroberfläche jagten.
Inzwischen war das Gras fast vollständig unter den Familiengruppen verschwunden, die vor der Katastrophe im Obergeschoss geflüchtet waren – einer kompletten Ebene des Daches, die genauso groß wie diese war, genauso vollgestopft mit Wohnungen und Menschen und automatischen Farmen und offenen Flächen. Die Hälfte der Dachbewohner hatte dort gelebt. Es hieß, dass es vielleicht noch ein Jahr dauerte, bis die Schäden so weit behoben waren, dass sie zurückkehren konnten. Bis dahin hielten sich die religiösen und die weltlichen Flüchtlinge auf Abstand, und selbst jetzt starrten sie ihre Feinde voller Misstrauen und Verbitterung an.
Obwohl ihre Notlage
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