Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)
sterben.«
Hiresh gab keine Antwort. Sie waren ausschließlich von Religiösen umgeben. Die meisten gehörten zur Golamatr-Sekte, die das Dach verehrte und den lebenden Computer als Inkarnation der großen Mutter betrachtete. Viele von ihnen waren nackt. Sie verachteten jegliche Kleidung und bemalten ihre Körper mit Bildern der Knochen und Organe, die sich unter der Haut befanden. Manche hatten sie sich sogar eintätowieren lassen. Schließlich konnte das Dach alles sehen – warum sollte man also irgendetwas verbergen?
Hier gab es keine Träumer. Sie waren gar nicht erlaubt. Gruppen aus jungen Männern liefen in disziplinierter Formation durch die Korridore, während andere unter Anleitung des Daches Pflanzen versorgten, die tatsächlich gesund waren. Viele Blicke folgten den drei Fremden bis zu einer Tür an der hintersten Wand einer Sackgasse.
Hiresh holte tief Luft. Er entfernte den Schleier und öffnete sein Gewand auf der Vorderseite. Jetzt musste er stark sein. Nur schade, dass er seinen Händen das Zittern nicht verbieten konnte.
Die Tür glitt auf.
Die Frau, die dahinter wartete, hatte weißeres Haar als beim letzten Mal. Auch ihre Gestalt war magerer geworden. Knochen zeichneten sich unter der Haut ab und drückten gegen die Tätowierungen, die sie darstellten.
»Wer ist da?«, rief eine heisere Stimme von drinnen.
Die Frau antwortete nicht. Stattdessen schloss sie ihren Sohn in die Arme und drückte ihn fest an sich. Er spürte ihre Tränen an seiner Wange. Er war in innerem Aufruhr, und seine Augen brannten. Nein! Bitte nicht, Götter! Lasst mich nicht weinen! Doch er hatte sich seit vielen Jahren nicht mehr an die Götter gewandt, sodass es keinen Grund gab, warum sie ihn ausgerechnet jetzt erhören sollten. Er schob sich nach drinnen und verbarg sein Gesicht wieder unter dem Gewand. Er wagte nicht zu sprechen, sondern gab Stolperzunge einen Wink, dass er hereinkommen sollte, an seiner verdutzten Mutter vorbei.
»Wer seid ihr?«, meldete sich erneut die heisere Stimme zu Wort, da Hireshs Gesicht unter der unvertrauten Kleidung verborgen war. »Was wollt ihr in unserem Heim?«
Hiresh atmete viel zu schnell, um antworten zu können. Er war sich nicht einmal sicher, was er sagen sollte.
»Ich bitte um Entschuldigung«, hörte er den Wilden sagen. »Diese Frau braucht Hilfe. Hiresh sagte, ihr könntet vielleicht …«
»Hiresh!« Aus der Kehle seines Vaters klang der Name wie eine Explosion. Wie ein Fluch aus dem Atharvaveda.
»Ist er es, der sein Gesicht verbirgt? Als könnte Mutter Dach nicht in sein verräterisches Herz blicken!«
Diese Worte halfen Hiresh, sich wieder unter Kontrolle zu bringen, als die Wut seine Tränen vertrieb. Er schlug das Gewand zurück, nachdem er nun bereit war, sich seinem Vater zu stellen. Doch er sah nur den tätowierten Rücken des Mannes und die kräftigen Muskeln, die sein Sohn nie haben würde.
Vater hatte die Wohnung bereits angewiesen, die Möbel zu absorbieren, und half Stolperzunge, Jagadamba auf den Boden zu legen.
Hireshs Mutter war im offenen Eingang stehen geblieben und versuchte zu verstehen, was vor sich ging. Bei ihrem Anblick fiel es ihm schwer, die Beherrschung zu wahren, aber der erste Schock war vorbei, und nun kam er besser damit zurecht. Er sagte der Tür, dass sie sich schließen sollte, aber es überraschte ihn nicht, dass sie seinen Gedanken nicht mehr gehorchte. Er gab seiner Mutter ein Zeichen, dass sie es tun sollte.
»Na … natürlich«, sagte sie.
»Jagadamba bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte Stolperzunge.
Vater räusperte sich zustimmend, während seine Finger vorsichtig den Brustkorb der Frau betasteten.
»Mutter Dach sagt, dass sie mehrfache Frakturen hat. Verschiedene Rippen und wahrscheinlich innere Blutungen. Ihr bleibt höchstens noch ein Tag.«
»Wir müssen sie wiederbeleben«, sagte Stolperzunge. »Es ist … überlebenswichtig.«
Vater schüttelte den Kopf. »Ohne Medizin hat sie keine Chance.«
»Dein Sohn sagte … du könntest vielleicht …«
Nun blickte sich Vater um. Hiresh hatte einen bösen Blick erwartet. Doch in Vaters Gesicht stand keine Botschaft für seinen Sohn, sondern nur ein paar überraschende neue Falten im breiten, starken Gesicht. Ein fehlender Zahn. Ansonsten Muskeln, jede Menge Muskeln, die noch von den Tätowierungen betont wurden, die jeden sichtbaren Teil seines Körpers bedeckten.
Hiresh machte keinen Hehl aus seiner Abscheu. »Du siehst gut genährt aus.« Mehr musste er nicht
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