Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)
fragte Vater verwirrt. Was auch immer er mit der alten Dame besprochen hatte, dabei war es offensichtlich nicht um Stolperzunges Identität gegangen.
»So nennen wir unseren großen Kriegerfreund«, sagte sie und zeigte auf den Jäger. »Er kämpft genauso gut wie die Kreaturen auf der Oberfläche.«
Stolperzunge behielt die Wahrheit für sich.
Hireshs Vater sagte nicht einmal Lebewohl, was für den Jungen überhaupt kein Problem war. Aber Mutter drückte ihn an sich, als wüsste sie, dass er nie mehr zurückkommen wollte. Er umarmte sie und biss sich auf die Lippe, um seine Tränen zurückzuhalten. Er war schockiert, wie sehr sie ihm gefehlt hatte, und konnte nicht fassen, dass er sie nun erneut alleinlassen würde.
9
Hunger in der Finsternis
Sie waren kaum in den Korridor hinausgetreten, als Jagadamba sich an Hiresh wandte. »Es ist mir egal, ob du ein Fan des Wilden bist, aber wir brauchen dich nicht mehr, großer Mann. Warum bleibst du nicht einfach bei deinen Eltern? In diesem Bereich werden schon sehr bald wichtige Dinge geschehen. Große Ereignisse. Du musst dein müßiggängerisches Leben aufgeben und deinen Verpflichtungen gerecht werden. Dein Vater wird dir zeigen, was zu tun ist.« Ihre Stimme klang kräftig und klar. Hiresh hatte eine plötzliche Vision, wie sie als jüngere Frau gewesen sein musste – hässlich, aber gefährlich und furchtlos.
»Ich möchte bei euch bleiben.«
»Wozu?« Sie wandte sich an Stolperzunge. »Er wird uns nur aufhalten. Nur noch zwei Tage, dann sind wir da.«
»Zwei Tage?«, sagte Stolperzunge. »Das ist viel zu lang. Mein Stamm …«
Jagadamba ging nicht darauf ein. »Bisher habe ich diesen Narren nur geduldet, weil ich dachte, er könnte nirgendwo sonst hingehen. Aber er hat richtige Eltern! Menschen, die seinem Leben einen Sinn geben können …«
Hiresh würde auf seinem Standpunkt beharren müssen, um seine Mission erfüllen zu können. Nicht dass er es wirklich wollte, nachdem er Stolperzunge jetzt besser verstand, aber er wusste nicht, was mit Tarini geschehen würde. Er musste einen Ausweg finden, damit es so aussah, als hätte er sich alle Mühe gegeben.
»Ich möchte, dass Hiresh mitkommt«, sagte der Jäger.
Der Junge spürte, wie sein Gesicht heiß wurde.
Warum? , fragte er sich. Wozu bin ich gut? Warum?
»Dort, wo wir hingehen, ist nicht genug Platz für einen so großen Mann wie ihn«, sagte Jagadamba. Doch als Hiresh ihr folgte, klopfte Stolperzunge ihm auf den Rücke n, und die alte Frau erhob keine weiteren Einwände.
Jetzt kamen sie schneller voran. Seit der Behandlung mit der Medizin, die Vater über seine Verbindungen zu anderen Dachanbetern besorgt hatte, humpelte die alte Frau nicht mehr, und Stolperzunge trieb sie nun zu größerer Eile an.
Noch zwei Tage, hatte sie gesagt. Zwei weitere Tage. Dann würde Hireshs neues Leben beginnen, während Stolperzunge … Der Jäger würde heil aus der Sache herauskommen. Die Vernichtung seines Stammes hätte er sowieso nicht verhindern können. Hier im Dach war es für ihn ungefährlicher.
Das Gleiche ließ sich von der Verräterin Indrani jedoch nicht behaupten.
Indrani, dachte Stolperzunge, hatte von Anfang an ins Dach zurückkehren wollen. Trotzdem hatte er sich das Wiedersehen mit ihr stets als glückliches Ereignis vorgestellt. Er würde sie in die Arme schließen. Er würde ihre weiche Haut an seiner spüren. Er würde das schelmische Glitzern in ihren Augen sehen, wie damals, als sie ihm beigebracht hatte, mit Krücken zu gehen, während sie aus Spaß Steine auf ihn geworfen hatte.
Sie fehlte ihm so sehr. Er wünschte sich, seine Führerin hätte ihm einfach gesagt, wo er sie finden würde, statt ihn zu diesem quälend langsamen Tempo zu zwingen. Doch er hätte es niemals allein geschafft – nicht in einer so fremdartigen Welt wie dieser.
Jagadamba führte sie zu einem Shuttle. »Ich habe ein weiteres Treffen arrangiert«, sagte sie. »Nein, Wilder, es gibt keine Möglichkeit, die Sache irgendwie zu beschleunigen.«
Während der Reise vergeudeten sie mehrere Stunden, die nur durch für Stolperzunge unverständliche religiöse Streitgespräche zwischen den anderen beiden unterbrochen wurden. Jagadamba räusperte sich, aber in ihrer gesunden Kehle fand sie nichts mehr, womit sie Hiresh bespucken konnte. Sie drohte ihm mit vielen schrecklichen Wiedergeburten. Er lachte und versprach ihr: »Man muss zunächst sterben, um wiedergeboren zu werden, nicht wahr? Aber ich werde ewig leben! Alle
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