Das Ende des Zufalls - Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht (German Edition)
allem in den Social-Media-Kanälen, filtert der Algorithmus von Treato.com relevante Informationen zu Medikamenten und Krankheiten. Es ist also weniger eine klassische Medikamentendatenbank, sondern eine echte „User zu User“-Patientenplattform, die sich „die Stimme des Patienten nennt“. Treato hat die Erfahrung gemacht, dass Nebenwirkungen von Medikamenten und Behandlungen auf diese Weise viel früher erkannt werden können. Und zwar, noch bevor die zuständigen Behörden entsprechende Warnungen veröffentlichen. Als Beispiel wird das Asthmamittel Singulair angeführt, bei dem aus der Diskussion in sozialen Netzwerken und in sonstigen nutzergenerierten Inhalten bei mehr als der Hälfte aller Social-Media-Konversationen zu diesem Thema deutliche Hinweise auf psychische Nebeneffekte zu erkennen waren. Und das vier Jahre bevor die Behörden offiziell warnten. 164
Im medizinischen Fachbereich gehören Genome Biologie und das Zellstudium zu den herausfordernden und bisher auch schon viel publizierten Big-Data-Aufgaben. Um aus den vielen globalen Beispielen nur eines zu nennen: Das Broad Institute, eine Initiative von Harvard und MIT, hat nicht nur eine wichtige Rolle bei der Gen-Entschlüsselung gespielt, sondern konzentriert sich jetzt auf die Frage, wie Zellen Informationen verarbeiten – was nicht nur zu einem besseren Verständnis unseres Genoms führt, sondern auch therapeutische Effekte bringen wird. Allein bis 2011 hat das Broad Institute acht Petabytes an Daten akkumuliert und entwickelt ständig neue Tools, um diese Datenmengen adäquat analysieren zu können. Diese Tools können von jedermann benützt werden. Ziel ist es, ein neues Modell einer kollaborativen biomedizinischen Forschung zu fördern. 165
Genombasierte Untersuchungen und die sogenannten Biomarker sind eine Erweiterung des diagnostischen Spektrums der Ärzte und machen zum Beispiel zielgerichtete Behandlungen von Krebspatienten im Sinn einer personalisierten Medizin möglich. Das kann helfen, aussichtslose Therapieversuche zu vermeiden. Die Frage, ob ein Patient zu jenen 80 Prozent gehört, bei dem ein Medikament zu 100 Prozent anspricht, oder zu jenen 20 Prozent, bei dem es überhaupt nicht wirkt, sondern nur Nebenwirkungen erzeugt, ist nicht mehr dem Zufall überlassen. 166
Der Berliner „Oncolyzer“
Eine Forschungsinitiative der Charité Universitätsmedizin hat zusammen mit SAP und dem Hasso-Plattner-Institut neue Big-Data-Möglichkeiten einer IT-gestützten, patientenspezifischen Krebstherapie entwickelt. Mit dem „Oncolyzer“ können Millionen von Datensätzen sekundenschnell parallel im Hauptspeicher verarbeitet werden. Dabei wird versucht, die bisher hauptsächlich für Geschäftsanwendungen verwendete sogenannte In-Memory-Technologie auch für den medizinischen Einsatz nutzbar zu machen. Eine für den mobilen Einsatz im Krankenhaus optimierte iPad-Anwendung ist das erste Ergebnis der Forschungsinitiative. Sie kombiniert Daten aus einer Vielzahl von Krankenhausinformationssystemen, und der Arzt kann in frei wählbarer Detailtiefe die gesamte Behandlungsgeschichte des Patienten einsehen. Was früher oft Tage für einen einzigen Patienten in Anspruch nahm, ist nun binnen Sekunden möglich. 167
Das Gesundheitswesen muss also mit Big-Data-Analysen befähigt werden, eine bessere Gesundheitsvorsorge zu niedrigeren Kosten zu entwickeln. Ein Weg dorthin führt etwa über komplexe DNA-Analysen, mit denen Ärzte das Auftreten einer Krankheit prognostizieren und proaktiv Gegenmaßnahmen vorschlagen könnten. Auf Basis solcher Analysen ließen sich für Menschen mit sehr ähnlicher DNA-Struktur gruppenspezifisch zugeschnittene Medikamente entwickeln.
Sowohl in Europa als auch in den USA macht die Diskussion um die sogenannte digitale Gesundheitsakte, den „Electronic Health Record“, Fortschritte. Wenn die Fragen des Schutzes persönlicher Daten geklärt werden können, dann wird die Möglichkeit, auf alle wesentlichen medizinischen Daten jederzeit zugreifen zu können, nicht nur für den Einzelnen, sondern für das System insgesamt signifikante Verbesserungen bringen können. Es besteht auch berechtigte Hoffnung, dass die Kombination aus den medizinischen Big-Data-Sets und Crowdsourcing-Funktionalitäten bei vielen Erkrankungen neue Therapiewege aufzeigen kann. Man muss sich nur vorstellen, dass ein bestimmtes Set an Symptomen eines Patienten mit seinem Profil in die „medizinische Wolke“ von hunderttausenden Ärzten
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