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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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Formulierung »andere Drogen« ging bei mir zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Ich sagte: »Aber ich praktiziere gegenwärtig gar nicht. Ich habe vor einem Jahr aufgehört.«
    Der Therapeut erwiderte, das spiele für das CPH keine Rolle. Wenn ich den Vertrag nicht unterzeichnete, werde das CPH michbeim Office of Professional Medical Conduct (OPMC) des Bundesstaats New York melden, und das OPMC werde mein Verhalten überprüfen. Kollegen hatten mir wahre Horrorgeschichten über diese Überprüfungen erzählt, dagegen sei eine Steuerprüfung ein Spaziergang, eine Einschätzung, der der Therapeut zustimmte. Ein Teil von mir wollte sagen: »Gut, das OPMC soll seine Überprüfung machen, und dann werden sie sehen, dass ich mir als Arzt nichts habe zuschulden kommen lassen.«
    Wie die Ärzte im Lenox Hill Hospital wunderte sich auch dieser Therapeut in Marworth darüber, dass mich der drohende Verlust meiner ärztlichen Zulassung für den Bundesstaat New York nicht kümmerte. Ich sagte ihm: »Diese Zulassung interessiert mich nicht. Ich wollte nicht hierher kommen, aber nun bin ich hier, und es geht mir einzig um meine Gesundheit. Ich versuche mein Leben vor der Alkoholabhängigkeit zu retten. Bei den AA haben sie mir gesagt, ich würde alles verlieren, was ich über meine Genesung stelle, und soweit es mich betrifft, gehört dazu auch meine ärztliche Zulassung für New York.«
    Der Therapeut sagte mir, ich könne mir ein paar Tage Zeit lassen und über den CPH-Vertrag nachdenken. Ich sprach mit anderen Ärzten, die auf Veranlassung des CPH oder entsprechender Institutionen in anderen Bundesstaaten als Patienten in Marworth waren, und stellte immer wieder die Frage: »Warum muss ich dieses Ding unterschreiben?«
    Einer sagte: »Sie packen dich an den Eiern. Du hast keine Wahl.«
    Und ein anderer: »Wenn das CPH zu mir sagt, ich soll springen, dann frage ich nicht, warum. Ich frage, wie hoch.«
    Ich fühlte mich, als würde ich langsam untergehen. Das Gefühl wurde noch stärker, als ich herausfand, dass meine Mitpatienten allesamt erwischt worden waren, als sie unter dem Einfluss von Alkohol oder einer anderen Droge praktiziert hatten, Auto gefahren waren oder eine sonstige Verfehlung begangen hatten, etwa Schmerzmittel aus der Krankenhausapotheke entwendet hatten. Ich hatte als Einziger freiwillig zu praktizieren aufgehört, als mir klar wurde, dass ichmein Trinkverhalten nicht mehr unter Kontrolle hatte; ich war immer absolut nüchtern gewesen, wenn ich in meiner Praxis oder im Krankenhaus Patienten behandelt hatte; ich war nie betrunken Auto gefahren und hatte auch sonst gegen kein Gesetz verstoßen; und ich ging bereits täglich zu den AA und hatte aus eigenem Antrieb drei der zurückliegenden neun Monate in Entzugskliniken verbracht, als ein Gespinst gut gemeinter Lügen mich ins Visier des CPH gebracht hatte. Trotzdem wurde ich wie ein Krimineller behandelt und auf die gleiche Weise bestraft wie die Ärzte, die sich echte Verfehlungen hatten zuschulden kommen lassen.
    Am Ende beschloss ich, dass es besser war, den CPH-Vertrag zu unterzeichnen und eine Untersuchung des Bundesstaats zu vermeiden, aber nicht, weil ich um meine Zulassung fürchtete. Schlimmer war für mich die Vorstellung, dass die Untersuchung meinen Ruf ruinieren könnte, obwohl ich nichts Falsches getan hatte. Die Ermittler würden mit meinen Nachbarn und Kollegen sprechen und Fragen stellen wie: »Schien Ihnen das Verhalten von Dr. Ameisen normal?« oder »Haben Sie jemals gesehen, dass er beim Gehen schwankte?«. Das erinnerte mich zu sehr daran, wie Leute im Holocaust, in Vichy-Frankreich und in Amerika während der McCarthy-Ära ihre Nachbarn denunziert hatten.
    In Marworth waren alle Patienten aus medizinischen Berufen – Ärzte, Krankenschwestern und Apotheker – in einer Abteilung untergebracht. Auch bei allen organisierten Aktivitäten bildeten wir eine Gruppe. Mir erschien das lächerlich. Nichts gegen Ärzte, aber privat verkehrte ich im Allgemeinen außerhalb der ärztlichen Kreise.
    »Ich bin mit einem Vornamen und einem Familiennamen geboren, nicht mit einem Doktortitel«, sagte ich. »Bringt mich mit normalen Leuten zusammen, einfach mit anderen Alkoholikern, egal ob Pförtner oder Boss.«
    Der Therapeut setzte mir auseinander: »Sie als Angehörige medizinischer Berufe haben ähnliche Probleme.«
    »Alkohol? Sucht? Mir scheint, das ist bei allen hier gleich.«
    »Ja, aber Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern brauchen

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