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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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herab. Auf der Entgiftungsstation eines New Yorker Krankenhauses hatte ein hübsches Mädchen, eine Straßensängerin, einmal zu mir gesagt: »Du solltest mal Heroin probieren, Olivier. Es ist viel besser für deinen Körper als Alkohol. Mit Heroin kannst du fliegen.«
    Eine Frau bei den AA erzählte wehmütig davon, wie gut Heroin war. Als ich ihr sagte, ich hätte mir nie etwas gespritzt und könne das nicht, gab sie die klassische AA-Antwort: »Noch nicht.« Wenn jemand sagte, er trinke nie am Morgen, oder eine andere Regel dieser Art aussprach, antworteten die Veteranen: »Noch nicht.«
    In Marworth stimmten mehrere Ärzte und Apotheker darin überein, Fentanyl sei »der Rolls-Royce unter den Drogen«. Jedenfalls ist es eine der gefährlichsten Substanzen.
    Ein anderer Patient, ebenfalls Arzt, war codeinabhängig und verachtete Alkoholiker. »Wie könnt ihr nur dieses übel riechende, übel schmeckende Zeug schlucken?«, sagte er. Er war eigentlich ganz in Ordnung, und ich kam gut mit ihm aus, aber er hatte oft schlechte Laune und hielt sich für etwas Besseres. Er erschien immer in Designerkleidung und kritisierte beständig meine verwaschenen Jeans und T-Shirts. »Du bist so ein vornehmer Typ, Olivier. Wie kannst du solche Klamotten tragen?«
    »Weißt du eigentlich, wo wir sind? In einer Suchtklinik. Nicht gerade im Gefängnis, aber nicht weit davon weg. Wir gehen bestimmt nicht auf eine Smoking-Party.«
    Wenn ich ihn morgens begrüßte, erwiderte er immer »Another day in paradise«. Und dann jammerte er, dass er jetzt auf demGolfplatz sein oder eine Runde mit seinem tollen Sportflitzer drehen könnte. Er war sehr stolz, dass er sich unter lauter Ärzten, Schwestern und Apothekern bewegen konnte und nichts mit den gemeinen Marworth-Patienten zu tun hatte.
    Auf dem Papier waren wir ein eindrucksvoller Haufen, lauter Eliteuniversitäten und renommierte Lehrkrankenhäuser im Lebenslauf. Wir hatten reichlich Intelligenz und Willenskraft bewiesen, um all das zu erreichen, und wie alle Süchtigen setzten wir unsere Intelligenz auch dazu ein, geschickt mit unserer Sucht umzugehen. Wie einer in der Gruppe sagte: »Wenn wir genauso viel Zähigkeit und Einfallsreichtum in unsere Karrieren investiert hätten wie darin, das nächste Glas oder den nächsten Schuss zu bekommen und immer nur gerade so viel zu nehmen, dass es nicht auffällt, wären wir alle Nobelpreisträger geworden.« (Natürlich werden Süchtige, die nicht gerade Ärzte sind, Ähnliches behaupten.)
    Das Bemühen ist oft großartig, aber wenn es scheitert, ist es eine Katastrophe. Einmal schilderte ein Apotheker in einer Gruppentherapiesitzung: »Ich hatte Wodka, aber nur wenig, deshalb spritzte ich mir den Wodka.«
    Wenn es darum geht, sich etwas zu spritzen, bin ich so zimperlich, dass man glauben könnte, ich sei gar kein Arzt. Aber dieser Satz weckte meine Neugier, und ich fragte nach. »Ich kenne Wodka, ich habe viel Wodka getrunken, genau wie du sicher auch. Was bringt es, Wodka zu spritzen?«
    Pharmakologen kennen die Halbwertzeiten aller Substanzen im Blut, wie man die Nieren schont, indem man eine Droge auf eine bestimmte Weise injiziert, und dergleichen mehr. Er erklärte mir: »Wenn du nur eine kleine Menge Alkohol hast und sie trinkst, wird sie im Magen resorbiert und dann über das ganze System verteilt, und du spürst nichts. Wenn du dieselbe Menge spritzt, gibt es dir einen Kick.«
    »Oh, danke, so hatte ich das noch nicht betrachtet.« Manche Leute, das wurde mir klar, waren in der Sucht noch weiter gegangen als ich.
    Es war faszinierend zu sehen, wie alle diese klugen Leute mit ihren Kalkulationen letztlich doch in die Katastrophe geschlittert waren. Alle Süchtigen erfinden das Rad neu, aber sie verlieren die Balance und stürzen ab, genau wie dieser Apotheker. Er hatte sich im Rausch mit seinem Motorrad überschlagen. Kontrollverlust gehört definitionsgemäß zu einer Sucht, und der Versuch, eine Abhängigkeit zu kontrollieren, ist so, als wollte man ein Fahrzeug ohne Bremsen fahren. Man kann noch so klug sein, durch die Abhängigkeit wird man sein eigener Gegner, und die ganze Klugheit hilft nicht lange. Es erschreckte mich, als ich erkannte, dass ich dem Alkohol ausgeliefert war und mein Trinkverhalten nicht mäßigen konnte.
    In dieser Hinsicht waren wir Angehörige von Heilberufen nicht anders als alle anderen Patienten in Marworth oder bei den AA und in anderen Entzugskliniken. Meinem ersten AA-Sponsor gegenüber hatte ich mich

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