Das Ende meiner Sucht
zwar relativ billig, aber mit einem Rezept konnte ich mir die Kosten erstatten lassen und musste sie nicht aus eigener Tasche bezahlen. Aber der wichtigste Vorteil war, dass ich, sollte ich wieder in einer Notaufnahme landen, eine ärztliche Verordnung vorweisen konnte.
Meine Online-Recherchen zu Baclofen weiteten sich bald aus auf Recherchen zu Abhängigkeit im Allgemeinen. Fabienne, die Ehefrau meines Bruders Jean-Claude, gab mir einen wichtigen Tipp. Neben ihrer eigenen Arbeit als Chinesischlehrerin half sie Jean-Claude bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten zur Immunologie. Sie erklärte mir, Google sei eine allgemeine Suchmaschine, aber für medizinische Publikationen solle ich PubMed ausprobieren, eine Website der National Institutes of Health in den Vereinigten Staaten. »Mit PubMed findest du Abstracts aus allen medizinischen Zeitschriften der Welt und kannst sie kostenlos lesen.«
Wenn ich mir Abstracts anschaute, wünschte ich oft, ich könnte den ganzen Artikel lesen, aber Online-Subskriptionen medizinischer Zeitschriften sind unerschwinglich teuer. Und auch für einen einzelnen Artikel muss man oft 30 Dollar oder mehr bezahlen. Selbst große medizinische Bibliotheken haben nicht alle Spezialzeitschriften, und es war einfach unpraktisch, jedes Mal von Bibliothek zu Bibliothek zu laufen, wenn ich online ein interessantes Abstract entdeckt hatte. Tatsächlich war ich immer noch Dozent für Medizin am Weill Medical College der Cornell University, und als solcher hätte ich über das Bibliothekssystem der Universität freien Online-Zugang zu Artikeln gehabt, egal, wo auf der Welt (und in welcher Verfassung) ich michbefand. Aber das fiel mir während meiner Krankheit nicht ein, und wenn es mir eingefallen wäre, hätte ich deswegen nicht in Cornell angerufen und gefragt, was ich zu tun hatte, aus Angst, die Person am anderen Ende der Leitung könnte erfahren, dass ich Alkoholiker war. Rückblickend kann ich sagen, dass die Beschränkung auf Abstracts gar nicht schlecht war. Die Abstracts enthielten den Kern jedes Artikels, und für ein Dutzend oder mehr Abstracts brauchte ich weniger Zeit, als es mich gekostet hätte, einen ganzen wissenschaftlichen Aufsatz zu studieren. Ich erkannte auch besser den Wald hinter den vielen Bäumen und konnte die wichtigsten Punkte festhalten, statt mich in endlosen Details zu verlieren.
Wenn ich betrunken war, konnte ich mich kaum auf den Computerbildschirm konzentrieren, geschweige denn die Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Aufsatzes begreifen. Außerdem hielt ich mich vom Computer fern, wenn ich trank, um keinen Alkohol darüber zu verschütten, und unmittelbar nach einem Rausch brauchte ich ein paar Tage, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Aber dann suchte ich erneut tagelang mit Google und PubMed nach Informationen über Baclofen und Abhängigkeit, wenigstens an den Vormittagen. Nachmittags lenkte mich das Craving selbst zwischen Räuschen und abgemildert durch Baclofen zu sehr ab, und ich konnte mich nicht auf die Suche in Dutzenden, Hunderten und letztlich Zehntausenden von Abstracts konzentrieren.
Es war, als wäre ich wieder Student, und meine Suche führte mich in Gebiete, die ich seit dem Medizinstudium und dem praktischen Jahr nicht mehr berührt hatte, vor allem Chemie, Neurologie und Neuroanatomie. Das Forschen begeisterte mich. Aber oft frustrierte mich, wie krank ich immer noch war. Selbst mit 180 Milligramm Baclofen am Tag trank ich regelmäßig, wenn auch etwas abgemildert. Blackouts, Unfälle, die Gefahr einer Alkoholvergiftung und einer unheilbaren Leberzirrhose und andere Probleme – die tödlichen Risiken des Alkoholismus bestanden fort. Es spielte keine Rolle, dass es dank Baclofen weniger Tage pro Monat gab, an denen ich michschwer betrank, wenn ich in betrunkenem Zustand auf die Straße stolperte und von einem Auto überfahren wurde.
Das Baclofen schien eher der Hinweis auf eine Behandlung zu sein als die Behandlung selbst. Es gab immer noch Zustände der Seelenfinsternis, in denen ich betete: Gott, falls es dich gibt, mach, dass ich morgen nicht aufwache. Am nächsten Morgen dachte ich dann manchmal: Verdammt, ich bin ja immer noch da, und verfluchte Gott bitterlich. Eine Sucht ist wirklich ein lebendig gewordener Albtraum, in dem man mit dem Horror wach wird, nicht durch den Horror.
Manchmal, in nüchternen Phasen, erwachte ich mit dem Geschmack von Schnaps im Mund und schalt mich (Wann hatte ich den Rückfall? Wie viel habe ich
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