Das Ende meiner Sucht
jemandem reden, der Baclofen bereits Patienten verschrieben hatte.
Der Artikel nannte den vollen Namen des federführenden Forschers, Giovanni Addolorato, und wies ihn als Mitarbeiter des Instituts für Innere Medizin an der Università Cattolica di Sacro Cuore in Rom aus. Mehrmals – in nüchternem Zustand, betrunken und mit einem Kater – versuchte ich Dr. Addolorato telefonisch zu erreichen, doch ohne Erfolg.
Ich nahm den Aufsatz zu meinem Alkoholspezialisten und meinem Verhaltenstherapeuten mit. Beide wischten die Studie weg, ohne sie überhaupt richtig angeschaut zu haben. »Es ist eine kleine Studie mit einem dafür nicht zugelassenen Medikament«, sagten sie, und beide wollten nicht einmal in Erwägung ziehen, ein Medikament zu verschreiben, das sie nicht kannten.
Ich war fassungslos vor Frustration. Mein Leben stand auf dem Spiel, und beide hatten keinen überzeugenden medizinischen Grund, die Verschreibung einer Substanz zu verweigern, die mir helfen konnte, mit dem Trinken aufzuhören. Ich sagte mir, wenn ich Baclofen ausprobieren wollte, musste ich es mir selbst verschreiben.
Meine einzige Sorge war, dass ich immer noch keine Vorstellung hatte, ob das Medikament sicher war. Dann erinnerte ich mich, dass es in Linda Carrolls Aufsatz geheißen hatte, Baclofen sei »ein älteresMedikament, das seit Jahren zur Behandlung von Muskelverkrampfungen eingesetzt wird«. Mir dämmerte, dies müsse bedeuten, dass Baclofen in gewissem Umfang in der Neurologie verwendet wurde und mein Freund und Kollege John Schaefer in New York, dem ich unbedingt vertraute, als führender Neurologe langjährige Erfahrung auf dem Gebiet haben musste. Wenn jemand mir sagen konnte, ob Baclofen sicher war, dann John.
Aber ich wollte nicht, dass John den wahren Grund erfuhr, warum ich mich für Baclofen interessierte. Selbst wenn ich mein Trinken nicht erwähnte, würde er womöglich sagen: »Ach ja, Baclofen, du fragst mich wegen des Alkoholismus danach. Aber, Olivier, bei so einer Krankheit darfst du nicht versuchen, deinen eigenen Arzt zu spielen.«
Darum eröffnete ich mein Telefongespräch mit John mit den Worten: »Erinnerst du dich noch an die gutartigen Faszikulationen meiner Wadenmuskeln?«
»Natürlich.«
»Könnte Baclofen dagegen helfen?«
»Keine schlechte Idee, mein Lieber«, erwiderte er mit seinem breiten australischen Akzent. »Wirklich keine schlechte Idee. Es macht nicht abhängig, ist ein gutes, sicheres Medikament. Aber du musst langsam damit anfangen. Und wenn du wieder aufhören willst, musst du es langsam ausschleichen, so wie du es bei einem kardiologischen Patienten mit der Medikation gegen Bluthochdruck machen würdest.«
»Gibt es Kontraindikationen?«
»Nicht in deinem Fall.«
»Ich bin mit Krampfanfällen in deine Abteilung gekommen.«
»Ja, aber du bist kein Epileptiker. Das waren Entzugskrämpfe, sie stellen keine Kontraindikation dar. Du fängst mit fünf Milligramm dreimal täglich an, steigerst dann auf zehn Milligramm und so weiter. Bei jeder Steigerung wirst du dich vielleicht ein bisschen schläfrig fühlen, aber das wird innerhalb von 24 bis 48 Stunden vergehen, und dann kannst du die Dosis wieder erhöhen.«
»Bis wohin?«
»Bis es wirkt.«
»Aber was ist mit …?«
»Olivier, es ist ein sehr sicheres Medikament. Mach dir keine Sorgen.«
In Frankreich können Ärzte mit einem Ausweis des Conseil National de l’Ordre des Médecins (des Nationalen Rates des Ärztestandes) ohne Rezept Medikamente für sich und andere Personen kaufen.
Aber war Baclofen in Frankreich erhältlich? Ich wusste es immer noch nicht. Die ersten beiden Apotheken, in denen ich fragte, hatten noch nie davon gehört. In der dritten gab man mir die gleiche Antwort, aber ich zeigte dem Apotheker meinen Arztausweis und bat um das französische Äquivalent des Physicians’ Desk Reference (in Deutschland die Rote Liste), in dem alle Medikamente aufgelistet sind. Zu meiner Erleichterung fand ich in der Rubrik Generika den Eintrag »Baclofen Irex«, hergestellt von Sanofi. Später erfuhr ich, dass Baclofen von mehreren Firmen produziert wird und in Frankreich am ehesten, soweit überhaupt, unter dem Handelsnamen Lioresal bekannt ist; unter dem Namen war es ursprünglich von Ciba-Geigy (heute Novartis) patentiert und vermarktet worden. In den Vereinigten Staaten wird es unter den Markennamen Lioresal und, von einem anderen Hersteller, als Kemstro verkauft (in Deutschland meist als Generikum unter dem Wirkstoffnamen
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