Das Engelsgrab
Buch darüber schrieb.«
»Wie heißt es?«
»Die Botschafter.«
Da mussten Suko und ich passen. Ich formulierte es diplomatisch. »Ist es sehr schlimm, wenn wir zugeben, dass wir Ihr Buch leider nicht gelesen haben?«
»Das ist es nicht. Die meisten Menschen kennen es nicht, obwohl ich das bedaure. So bleiben ihnen viele Wahrheiten verborgen. Aber ich habe lange genug geforscht und kenne mich aus, und ich finde auch den Titel meines in leider kleiner Auflage erschienenen Buches perfekt.«
»Könnten Sie uns das genauer erklären?« bat ich.
»Gern. Der Begriff Engel stammt aus dem Griechischen, von Angelos ab. Das bedeutet soviel wie Botschafter. Die Engel sind die Botschafter Gottes. Und weil dies so ist und sie sehr schnell sein müssen, haben ihnen die Menschen Flügel gegeben, wie auf allen Malereien und Fresken zu sehen ist, die wir aus dem Mittelalter kennen. In den Jahrhunderten davor wurden die Engel anders beschrieben, doch als schnelle Botschafter brauchten sie einfach Flügel, und das helle Licht symbolisiert ihren himmlischen Ursprung. Viel mehr möchte ich zu diesem Thema nicht sagen. Nur will ich hinzufügen, dass es Engel in allen Religionen gibt. Sie beschränken sich nicht ausschließlich auf das Christentum.«
»Sehr gut!« lobte ich die Frau. »Seien Sie nicht böse, doch auf eine Fachfrau wie Sie haben wir gewartet.«
»Das kann ich mir gut vorstellen«, gab sie mit einem wissenden Lächeln zu. »Sie stehen selbst vor einem Rätsel.«
»So ist es.«
»Warum?«
»Möglicherweise fehlt uns das Wissen«, sagte Suko.
»Ah - nein, das sollten Sie nicht sagen. Wissen soll zwar Macht bedeuten, aber ich finde, dass die Phantasie eines Menschen ebenfalls sehr wichtig ist. Möglicherweise noch wichtiger. Phantasie und Intuition. Sich anderen Dingen gegenüber öffnen, um die Welt dann mit neuen Augen zu sehen.«
»Wir versuchen es«, sagte ich.
»Das weiß ich. Obwohl wir uns selbst bisher noch nicht begegnet sind, habe ich hin und wieder von Ihnen gehört und sie auch indirekt gespürt. Sie gehören zu den wenigen Menschen, die wissen, dass er zurückgekehrt ist, nicht wahr?«
»Sprechen Sie von Belial?« fragte Suko.
»Ja, der Engel der Lügen. Er will Verhältnisse schaffen, an denen die Menschheit zugrunde gehen kann, wenn sie nicht Acht gibt. Er will töten und vernichten. Er will alles unter seine Knute zwingen und dem Grauen Tür und Tor öffnen. Die Ansätze sind da. Der Tod des Schutzengels hat es bewiesen, und so ist die Bahn für Belial frei.«
»Meinen Sie zu den Personen, deren Schutzengel er getötet hat?« hakte ich nach.
»Das ist sein Plan.«
»Dann schwebt Toby Cramer in Lebensgefahr«, sagte Suko leise. »Er hat seinen Schutzengel verloren.«
»Und andere ebenfalls«, fügte Claudine noch hinzu.
Ich wollte sicher sein und fragte: »Es steckt tatsächlich Belial dahinter?«
»Ja, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Sobald er sich einem Kind nähert, wird dessen Schutzengel aufmerksam und stellt sich Belial als Widerstand in den Weg. Das kann er nicht hinnehmen. Er muss diesen Widerstand aus dem Weg räumen, was er hier getan hat. Dieser verlassene und beinahe vergessene Friedhof ist ein idealer Ort. Auf ihm liegen viele Kinder, die vor vielen Jahren unschuldig starben. Durch sein Erscheinen will Belial ihn entweihen. Er will zeigen, dass auch die Unschuld nichts anderes ist als Lüge.«
Das mussten wir erst einmal schlucken und taten es auch. Doch bei uns blieb eine gewisse Nachdenklichkeit zurück. Wir hatten mit Belial unsere Erfahrungen gesammelt. Ich wollte nicht davon sprechen, dass er unbesiegbar war, doch er war abgrundtief schlecht und umwoben von seinem Lügengespinst, in das er die Menschen hineinzog. Es war schwer, sich Belial zu entziehen. Zudem stand er voll und ganz unter dem Eindruck des noch mächtigeren Luzifer. Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung, als ich in seine Augen geschaut hatte. Darin hatte sich Luzifer widergespiegelt. Noch jetzt erschauerte ich. [1]
Aber es gab auch eine Gegenseite. Ich zählte mich in diesem Fall nicht einmal dazu, denn meine Gedanken drehten sich um einen anderen Engel, um Raniel, den Gerechten, und dabei zwangsläufig um Elohim, ein Kind, das sich in Raniels Begleitung befand.
Der Gerechte hatte mich damals vor Belial gewarnt. Er und ich hatten seine Wiedergeburt nicht verhindern können. Beim Kampf gegen ihn hatte Raniel auf meiner Seite gestanden. Jetzt wunderte ich mich im stillen darüber, dass gerade
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