Das Engelsgrab
geschafft, einen Kontakt mit den Engeln aufzubauen.«
»Du etwa nicht?« fragte Suko.
»Was meinst du?«
»Denk an dein Kreuz und an gewisse vier Buchstaben in den Balkenenden.« Er stieg ein. »Ich kann mir vorstellen, dass uns die Erzengel noch wertvolle Dienste erweisen können, wenn es gegen Belial geht.«
Auch ich stieg in den Wagen. »Mich wunderte nur, dass Raniel nicht erschienen ist. Wenn er so gerecht ist, kann er dieses Töten nicht gelten lassen.«
»Raniel«, murmelte Suko. »Wir können ihn nicht als Engel bezeichnen, wenn wir ehrlich sind. Er ist halb Mensch und halb Engel. Wahrscheinlich sorgt er nur dann für Gerechtigkeit, wenn er ein Unrecht sieht, das an Menschen begangen wird.«
»Kann sein, muss nicht.«
»Fahren wir?«
»Ja.«
»Welches Gefühl hast du?« fragte Suko, als ich den Motor angelassen hatte.
Ich zögerte einen Moment mit der Antwort und erwiderte dann: »Kein unbedingt gutes…«
***
»Und du bleibst hier in der Wohnung, Toby?«
»Ja, Mum.«
»Versprichst du das?«
»Ja.«
Lilian lächelte. »Es ist gut, ich glaube dir. Ich möchte ja nicht weg, aber ich muss. Ich habe diesen Termin beim Arzt und kann ihn nicht absagen. Außerdem versuche ich, so schnell wie möglich wieder hier zu sein, und unsere beiden neuen Freunde werden auch zurückkommen. Du wirst nicht lange allein sein.«
»Geh ruhig, Mum.«
»Dann bis gleich.«
Lilian Cramer spürte schon ihr schlechtes Gewissen, nur musste sie in diesem Fall auch an sich denken, denn den Arzttermin konnte sie nicht wieder verschieben. Zudem rechnete sie damit, dass man Toby tagsüber nichts tat. Da schlief er nicht. Sein Manko war der Vollmond und die damit verbundene Veränderung.
Toby blieb zurück. Er schaute noch eine Weile gegen die geschlossene Wohnungstür und ging dann zurück in sein Zimmer, eben in seine Welt, in der er sich wohl fühlte.
Nicht an diesem Tage. Alles war wie immer, und doch spürte Toby, dass sich über seine Welt so etwas wie ein hauchdünner Schatten gelegt hatte. Er war da, aber er war nicht zu sehen. Er hatte sich wie ein Gespinst ausgebreitet, und sein ganzes Zimmer kam ihm plötzlich düsterer vor als sonst.
Es konnte auch daran liegen, dass sich die Wolken draußen immer mehr zuzogen und dem Himmel eine dichte graue Decke gaben. Toby wollte sie genauer sehen, deshalb ging er zum Fenster und öffnete es.
Es war keine frische Luft, die ihm entgegenströmte. Sie war dicht und warm. Sie drückte gegen seinen Mund, wenn er sie einatmete. Es wehte kein Wind über die Dächer der Häuser. Eine laute Stille gab es nicht, trotzdem kam sie Toby so vor. Es war zwar still, doch er hörte die normalen Geräusche irgendwie lauter als sonst. Aus der Tiefe drangen sie zu ihm hoch. Das Vorbeifahren der Autos, die Stimmen der Menschen, mal ein Lachen. Musik aus der nahen Kneipe, die sonst nicht bis hier oben dicht unter das Dach drang.
Alles war so anders geworden. Toby überkam eine gewisse Befremdung, und dieses Gefühl ließ ihn schaudern. Der Mond war nicht zu sehen, ganz im Gegensatz zur vergangenen Nacht. Doch Toby, der Sensible, spürte ihn genau. Er lag hinter den Wolken versteckt, er war noch voll, und sein Einfluss ließ sich nicht stoppen.
Tobys Unruhe wuchs. Er beugte sich aus dem Fenster der Dachgaube und schaute nach rechts. Dass er auf das Dach geklettert und darüber hinweggegangen war, konnte er sich kaum vorstellen. Er selbst hatte es nicht gemerkt. Man hatte ihn geholt, und sogar jetzt war der Drang nicht völlig verschwunden.
Toby dachte an die letzten Worte seiner Mutter. Sie hatte ihn gewarnt, nichts zu unternehmen, und Toby wollte sich auch daran halten. Wobei er hoffte, dass seine beiden neuen, erwachsenen Freunde ihn ebenfalls nicht im Stich lassen würden. Er wünschte sich, dass sie nicht so lange wegblieben und noch vor dem Gewitter zurückkehrten. Dass es bald donnern und blitzen würde, stand für den elfjährigen Jungen fest.
Dann klingelte das Telefon. Toby schreckte zusammen. Der Apparat stand im Wohnzimmer. Der Klang war wegen der offenen Türen gut zu hören, und Toby überlegte, ob er abheben sollte. Es konnte ja wichtig sein. Alles war möglich. Seine Mutter hätte ihm die Entscheidung natürlich abgenommen. So aber war er auf sich allein gestellt und musste sich entscheiden.
Nach dem dritten Klingeln setzte sich der Junge in Bewegung. Er lief mit schnellen Schritten und dachte dabei an John Sinclair oder Suko, die möglicherweise etwas von ihm wollten.
Das
Weitere Kostenlose Bücher